Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
bezeichnen sollte, ob es überhaupt die Bezeichnung Gewässer verdient hatte. Drei Tage lang war Teermann nur quälend langsam vorangekommen. Zwar folgten sie den Drachen, aber Leftrin bezweifelte, dass diese wussten, wohin sie gingen. Folgten sie dem Hauptkanal? Gab es überhaupt einen Hauptkanal? Von einer Strömung konnte kaum noch die Rede sein. Er blickte auf die ruhige Wasserfläche, auf der sich das Licht der Dämmerung spiegelte, nur durchbrochen von den sanften Bewegungen der Binsen und Gräser im Morgenwind.
Die Mauern der Welt hatten sich zurückgezogen. So weit er von Teermanns Deck aus sehen konnte, waren sie von einem mit Wasserpflanzen überwucherten Sumpf umgeben. Selbst vom Dach des Deckshauses bot sich ihm kein anderer Anblick, und es schien, als wäre nirgends ein Ende in Sicht. Vielleicht war dies früher einmal ein Flusssystem oder ein See gewesen. Heute, so mutmaßte er, war das selten mehr als zwei Schritt tiefe Gewässer wohl lediglich ein von den fernen Hügeln gespeistes Sammelbecken. Wie eine riesige Tafel, dachte er, und er versuchte sich vorzustellen, was passieren würde, wenn der eigentliche Regen einsetzte. Falls das Wasser während einer Flut steigen würde, hätten die Drachen keinerlei Rückzugsort. Mit einem Kopfschütteln verdrängte er die fruchtlosen Sorgen, denn Mercor war das bestimmt bewusst. Täglich führte er sie weiter voran, nach Kelsingra oder in den Tod. Wohin es tatsächlich ging, würden sie erst am Ziel erfahren.
Leftrin suchte ringsum den Horizont ab, entdeckte aber nichts, was Hoffnung machte. Nie zuvor hatte er sich so winzig gefühlt, wenn er auf seinem Schiff dahingefahren war. Der Himmel war grau und weit, und die Wolken türmten sich hoch. Er vermisste die schattigen Flussufer, die ihm zeit seines Lebens so vertraut gewesen waren. Am Tag war das Licht unerbittlich, und unter dem endlosen Teppich aus Sternen in klaren Nächten fühlte er sich winzig und bedeutungslos.
Aus der Ferne drang der lang gezogene Schrei eines einsamen Raubvogels, eines Falken oder Adlers. Tats’ Drachin wurde davon geweckt und hob den Kopf. Sie stieß einen fragenden Laut aus, doch als keine Antwort kam, steckte sie den Kopf wieder unter den Flügel und schlief weiter. Sie standen eng beisammen wie ein Gänseschwarm, und wenn sie den Kopf nicht zwischen Brust und Schwinge geschoben hatten, ruhte er auf dem Rücken des Nachbarn. Sonderlich erholsam sah das nicht aus. Wie Seeleute, die zu lange Wache halten mussten, schliefen sie im Stehen. Leftrin taten sie leid, aber er konnte nichts für sie tun.
Es gab hier auch mehr Insekten, aber wenigstens beherbergte dieser Fluss reichlich Fledermäuse, die nachts Jagd auf Moskitos machten. Tagsüber machten sich winzige, pfeilschnell umherschwirrende Schwalben über die Stechmücken her. Zwar summten noch immer genug stechende Insekten herum, aber zu beobachten, wie Jagd auf sie gemacht wurde, verschaffte Leftrin wenigstens etwas Genugtuung.
Aus Gewohnheit zog er die Pfeife aus der Jackentasche. Er betrachtete sie, drehte sie in den Händen herum und steckte sie wieder weg. Kein einziger Krümel Tabak war auf dem Boot mehr zu finden. Und auch andere Vorräte waren aufgebraucht. Zucker fehlte und Kaffee. Die Teeblätter waren auf einen zerbröselten Rest zusammengeschrumpft. Noch hatten sie zwei Kisten Schiffszwieback. War der gegessen, waren sie ganz auf das angewiesen, was sie während ihrer Reise sammeln und jagen konnten. Seine Stirn legte sich in Falten, doch dann verscheuchte er die Sorgen energisch.
»Wo klares Wasser ist, gibt es auch Nahrung«, rief er sich ins Gedächtnis. Es gab reichlich Fische, und einige der Binsengewächse besaßen dicke, nahrhafte Wurzeln. In den letzten Nächten hatte Carson Netze ausgelegt, um Gänse zu fangen. Bislang hatte er kein Glück gehabt, aber sollte es ihm gelingen, dann stünde gegrilltes Geflügel auf dem Speiseplan. Oder vielmehr geschmorte Gans, fiel ihm ein, weil man dafür weniger Feuerholz brauchte. In letzter Zeit war größeres Brennholz knapp geworden. Eifrig hielten sie nach Treibholz und Stämmen Ausschau, die bei der letzten Flut angeschwemmt worden waren. Bis sie welches fanden, mussten die Hüter jeden Abend auf die Suche nach getrocknetem Schilf gehen. Doch dies brannte schnell herunter. Damit es länger hielt, banden sie es zu festen Ballen zusammen. Sa sei Dank waren die Nächte bisher noch mild gewesen.
Bei allen sah man Zeichen der Abnutzung an den Kleidern, und viele waren
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