Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
durchgemacht.«
»Das kann man laut sagen. Aus plumpen Geschöpfen, die die Hüter anfangs fast nicht vom Fleck bekommen haben, sind eindeutig richtige Drachen geworden. Seit dieser kleine Mistkerl Fauch entdeckt hat, dass er Gift spucken kann, ist er für sich und alle anderen eine Gefahr geworden. Seine Zielsicherheit lässt sehr zu wünschen übrig, und wehe, man belehrt ihn. So wie er früher gewesen ist, hat er mir besser gefallen. Ich bin Carson dankbar, dass er sich seiner angenommen hat. Wenn jemand diese Aufgabe bewältigen kann, dann ist er es. Doch selbst er kann nicht die ganze Zeit ein Auge auf diesen Dampfkessel haben. Früher oder später wird dieser Drache jemanden verletzen.«
In der Ferne rief ein Falke. Einige der Drachen wandten die Köpfe nach ihm um. Ob sie den Vogel um seine Fähigkeit zu fliegen beneideten? Und wenn er mit dem Kahn umkehren würde, um nach tieferem Gewässer Ausschau zu halten – würden sie ihm folgen? Oder würden sie in den Sumpf stapfen, um einen Weg zu trockenem Land zu suchen? Er sah hinauf zum Himmel. Sollte er auf Regen hoffen? Bei ausreichendem Regen würde der Wasserspiegel steigen, und er könnte weiterfahren. Dann würde das Wasser den Drachen aber auch bis zum Hals reichen. Wie lange würden sie durchhalten, wenn sie sich nicht auf dem Trockenen ausruhen konnten? Er schob seine Zweifel und Ängste beiseite. »Morgen früh treffe ich eine Entscheidung«, erklärte er.
»Und bis dahin?« Sie sah zu ihm auf, und er bemerkte, wie sehr sie sich durch ihn verändert hatte. Doch es war nicht das grob frisierte Haar oder die Sommersprossen, die zahlreicher und dunkler geworden waren. Es waren ihre Augen. Denn in ihnen lag zwar eine Frage, aber keine Furcht. Kein bisschen Furcht.
»Bis dahin leben wir, meine Liebste.«
Thymara saß in Alises dunkler Kammer. Sie hatte die Frau aus Bingtown zuvor gefragt, ob sie die Kabine für ungefähr eine Stunde benutzen durfte, um allein zu sein. Diese hatte angenommen, dass Thymara ungesehen ein Bad in warmem Wasser nehmen wollte, und hatte sogleich zugesagt. Tatsächlich hatte Thymara ein anderes Anliegen, denn sie hatte Sylve mit zu sich in die Kammer gebeten.
»Ich weiß nicht, wie ich dir helfen kann, Thymara. Hier ist es fast so dunkel wie in der Nacht.«
»Uns sind sämtliche Kerzen ausgegangen. Bellin meinte, dass sie auch aus Binsen Kerzen machen könnte, wenn die Jäger irgendwelche Tiere mit Fett heimbrächten. Doch bis dahin …« Thymara konnte selbst hören wie hastig sie sprach und wie piepsig ihre Stimme klang. Vielleicht hörte Sylve die Furcht ebenfalls heraus.
»Lass mich deinen Rücken anschauen, Thymara. Mal sehen, wie schlimm es ist. Ich weiß, dass du es nicht gern hast, wenn Leute an dir rummachen, aber wenn es entzündet ist, womöglich schon seit einer Weile, dann muss jemand die Wunde aufschneiden und sie reinigen. Du kannst sie nicht einfach weitereitern lassen.«
Sylve plapperte weiter, während Thymara das Hemd auszog und die Stoffstreifen aufknüpfte, die sie sich um die Brust gewickelt hatte. Aus Erfahrung wusste sie, dass man dies am besten schnell tat. Deshalb holte sie tief Luft und riss sich mit einem Keuchen das Tuch vom Leib. Die Wunde auf ihrem Rücken nässte beständig weiter und verklebte den Verband mit ihrer Haut. Sylve gab einen mitleidigen Laut von sich. Dann fragte sie pragmatisch: »Wie hast du es behandelt?«
»Ich versuche, es alle paar Tage zu waschen. Manchmal finde ich aber auch keinen Ort, wo ich allein bin.«
»Wärmst du das Wasser auf, oder stellst du dich einfach in den Fluss?«
»Normalerweise stelle ich mich einfach in den Fluss, wasche die Tücher aus und benutze sie, um Wasser über die Wunde zu träufeln. Dann verbinde ich alles wieder.«
»Ich kann hier drin nichts erkennen. Dreh dich so rum, zum Licht aus dem kleinen Fenster … Oh.« Sylve legte Thymara die Hände auf die Schultern und drehte sie in dem engen Raum um. Dabei fühlten sich ihre Finger kalt an.
Das plötzliche Schweigen, das Sylves Ausruf folgte, jagte Thymara einen umso größeren Schrecken ein. »Wie schlimm ist es?«, fragte sie rau. »So sag es mir doch!«
»Nun.« Sylve holte stockend Luft. »Das ist keine Wunde, Thymara. Vielleicht war es anfangs eine, aber jetzt ist es keine mehr. Es ist eine Veränderung. Mercor hat mir erklärt, dass es manchmal vorkommen kann, dass der Einfluss des Drachen stärker wird, wenn ein Mensch offene Stellen hat und blutet. Sogar stärker als beabsichtigt.
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