Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
Das hat er mir erzählt, als ich mich in die Hand geschnitten habe und zu ihm kam, um ihn zu putzen. Da meinte er, ich solle ihm ein oder zwei Tage fernbleiben.«
Thymara versuchte vergeblich, ruhig Atem zu holen. »Was für eine Veränderung?«
»Das weiß ich nicht genau. Ich drücke ein bisschen daran herum. Ich hoffe, dass ich dir nicht wehtue, aber ich muss es tun.«
»So mach es einfach, damit wir es hinter uns haben, Sylve.« In ihre Stimme schlich sich ein gereizter Tonfall, obwohl sie sich Mühe gab, schicksalsergeben zu klingen.
Sylve ließ sich davon nicht beirren. »Ich weiß, dass du nicht wütend auf mich bist. Und jetzt halte still.«
Sie spürte, wie Sylves kalte, geschuppte Hand vom Nacken die Wirbelsäule entlang bis zu ihrer Taille wanderte.
»Das hat nicht wehgetan? Gut. Es scheint, als sei das alles gesundes Fleisch, doch es ist stark geschuppt und es ist … Ich weiß auch nicht … Es ist anders, als ein Rücken sein sollte. Da steht etwas vor, als hättest du da mehr Muskeln oder so etwas. Auf beiden Seiten davon …« Thymara zischte und zuckte heftig zusammen. Sofort nahm Sylve die Hände weg. »Ähm … da sind zwei … äh … Schlitze. Sie sind genau gleich groß. Jeder ist ungefähr so lang wie die Spanne meiner Hand, und die Ränder sind gezackt. Und … bitte bleib ruhig stehen.«
Wieder spürte sie Sylves kühle Hände, als diese an etwas herumzupfte. Thymara schrie kurz auf und krümmte sich vornüber, indem sie Zähne und Augen zusammenpresste. Was auch immer Sylve getan hatte, es bereitete ihr höllische Schmerzen. Und als Sylve weitersprach, klang es, als hätte auch sie die Zähne zusammengebissen. »Entschuldige, Thymara. Es tut mir so leid. Das hätte ich nicht tun sollen. Es sieht so aus, als würdest du jetzt wieder ein bisschen bluten. Aber da … in diesen Schlitzen ist was drin.«
»Etwas … was? Schmutz? Eiter?«
Sylve holte bebend Luft. »Nein. Da wächst etwas. Etwas Knochiges, wie, nun ja, wie Finger oder so. Thymara, du solltest zu Bellin gehen oder zu Alise. Oder sogar zu Mercor. Jemand, der mehr Ahnung hat als ich, sollte sich das anschauen und dir sagen, was du tun musst. Es ist schlimm. Es ist wirklich richtig schlimm.«
Thymara hielt sich nicht mit dem Verband auf. Sie schnappte sich das Hemd und zog es sich über, ohne sich darum zu scheren, welche Schmerzen ihr die ruckartigen Bewegungen bereiteten. »Sag es niemand!«, drängte sie heiser. »Bitte, Sylve, erzähl es niemandem. Sprich mit niemandem darüber, bevor ich nicht Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken.« Und mit dieser verdammten Drachin darüber zu sprechen. »Versprich mir, dass du es niemandem erzählst.«
»Thymara, du musst es jemandem sagen. Da muss etwas geschehen.«
»Sag es niemandem, Sylve. Bitte. Behalt es für dich.«
Sylve knirschte mit den Zähnen. »Na gut. Ich werd’s nicht sagen.«
Gerade als Thymara sich entspannen wollte, setzte Sylve hinzu: »Ich sage es noch nicht. Ich warte einen Tag damit. Aber nur einen Tag. Dann gehe ich zu Bellin. Du kannst nicht so tun, als wäre nichts, Thymara. Von alleine geht das nicht weg.«
»Das werde ich auch nicht tun, das verspreche ich. Gib mir nur einen Tag, Sylve. Gib mir nur einen Tag.«
»Alise, ich muss mit dir reden. Hast du etwas Zeit für mich?«
Sedrics Bitte klang eigenartig formell. Alise sah von ihrer Arbeit auf dem Küchentisch auf. Sie war mit zweierlei beschäftigt. Boxter hatte in der Dämmerung ein halbes Dutzend Wasserenten gefangen und sie zum Kahn gebracht. Die meisten davon hatte sie ausgenommen und zerteilt. Jetzt kochten sie in einem Topf. Die beiden letzten allerdings, eine Ente und ein Erpel, lagen aufgeschnitten vor ihr auf dem Tisch. Sie zeichnete sie ab und machte sich in ihrem Tagebuch Notizen über Größe, Farbe und den Inhalt ihrer kleinen Mägen. Nie zuvor hatte sie solche Enten gesehen. Sie hatten einen leuchtend blauen Federkamm. Da sie keine blaue Tinte hatte, machte sie neben der Skizze entsprechende Anmerkungen. Als sie fragend zu Sedric aufblickte, fügte dieser sogleich hinzu: »Ich hätte die Zeichnungen für dich angefertigt. Du hättest nur etwas sagen müssen.«
»Nun. Manchmal ist es schwieriger, jemanden um etwas zu bitten, als es selbst zu tun«, stellte sie kühl fest. Sie blickte ihn an und versuchte verzweifelt, ihren alten Freund in ihm zu erkennen. Ein Dutzend Mal hatte sie ihm vergeben. Und ein Dutzend Mal war sie in der Nacht aufgewacht oder von einer Tätigkeit
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