Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
anderen Vogelwart übernommen werden. Sicher wisst Ihr, dass Eure Familie mir versichert hat, dass ich »jederzeit und so lange es mir beliebt« willkommen sei, doch in dieser Sache möchte ich Euch lieber um Rat bitten. Hier ist das Wetter für die Jahreszeit außergewöhnlich warm und schön, doch wir wissen alle, dass das nicht ewig so bleiben kann! Die Regenzeit wird uns bald ereilen. Wäre es zu dreist von mir, wenn ich darum bitten würde, dass mein Besuch noch stattfindet, solange das Wetter schön ist? Was wären denn Eure Vorlieben, was Dauer und Zeitpunkt meines Besuchs angeht?
Erek
19
Schlamm und Schwingen
A m späten Vormittag lief Teermann auf Grund und kam nicht mehr weiter. Das überraschte Leftrin nicht. Seit einiger Zeit schon hatte er damit gerechnet. Schon tags zuvor war Teermann durch den Sumpf gestapft, und einige Hüter waren bei dem Schwanken seekrank geworden. Als das Wasser im Lauf des Tages immer flacher geworden war, war Leftrins Besorgnis gestiegen. Er hatte das Hornsignal gegeben, um die kleinen Boote zum Kahn zurückzurufen. Dann hatte er sie in unterschiedliche Richtungen ausgesandt, um nach tieferen Gewässern zu suchen.
Doch am Abend waren sie ohne gute Nachrichten zurückgekehrt. Nirgends war eine Strömung auszumachen, und das Wasser war in allen Richtungen gleich flach. Zwar wurden Strohhalme, die sie ins Wasser warfen, davongetragen, doch verfingen sie sich fast augenblicklich im Schilf, das von allen Seiten näher rückte, während die Gebirgsausläufer sich noch immer genauso fern und grau vor den dicken Wolken abhoben.
Der Kahn blieb aus eigenem Antrieb stehen. Eine Weile spürte Leftrin, wie das Schiff nachdachte. Teermann tastete sich an ihn heran und suchte offenbar nach einer Idee, die Leftrin allerdings nicht hatte. Dann faltete Teermann mit einem sanften Ruck die Beine zusammen und ließ sich auf dem Schlamm nieder. Nun lag der Kahn, den er auf dem Rücken getragen hatte, im Wasser. In Leftrins Brust breitete sich eine Welle der Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit aus. Sie waren am Ende der Reise angekommen. Und es war nicht Kelsingra.
»Käpt’n?«, kam es von Swarge am Steuer. Seit Wochen tat niemand mehr so, als müsse man auf Teermann stochern. Für gewöhnlich war er dankbar für die Hilfe der Menschen, durch die er schneller vorankam. In derart flachem Wasser hätte ihn das Stochern jedoch nur aus dem Rhythmus gebracht.
»Mach eine Pause, Swarge«, gab Leftrin zurück. Ein tiefes Knurren entwich seiner Kehle und er umklammerte die Bugreling fester. Dass Alise zu ihm trat, spürte er mehr, als dass er es sah. Als sie neben ihm auftauchte, legte sie ihre Hände nach einem kurzen Zögern neben seine. Ihr Blick schweifte über die Szenerie, die vor ihnen lag.
Es gab keinen Kanal. Überall waren sie von Schilf, Binsen und anderen Sumpfpflanzen umgeben. Die Drachen wirkten wie leuchtend bunte Riesen, die durch die falsche Landschaft zogen. Noch am Tag davor hatten die Drachen vorgeblich den Weg gewiesen. Heute aber hatten sie zumeist langsam und unsicher gewirkt. Niemand fühlte sich bei dem Gedanken wohl, tiefer in dieses grenzenlose Feuchtgebiet einzudringen. Doch es bot sich ihnen kein anderer Weg. Außer …
»Kehren wir um?«, fragte Alise sanft.
Leftrin gab keine Antwort. Zwei scharlachrote Libellen schwirrten an ihnen vorbei, und ihre Flügel machten ein leises, schwirrendes Geräusch. Sie tanzten um ein nahes Schilfbüschel, bevor sie sich, eine auf der anderen, auf eine der gefiederten Ähren setzten. Aus der Ferne vernahm Leftrin schwach den Schrei eines Falken. Er sah auf, doch der Himmel war so verhangen, dass kein Stück Blau zu sehen war. Die Drachen stapften trostlos um den Kahn herum. Er fragte sich, was sie jagten. Frösche? Je flacher das Gewässer wurde, desto kleiner war die Beute und desto schneller entkam sie den Räubern. Alle hatten Hunger, und die Hüter verspürten zu ihrem eigenen auch noch den der Drachen.
»Wohin?«, fragte er.
»Vielleicht bis zum letzten Zufluss?«, schlug Alise behutsam vor.
»Ich weiß nicht«, gestand er. »Ich wünsche mir, Teermann könnte deutlicher zu mir sprechen. Ich glaube nicht, dass der andere Zufluss die Lösung wäre, aber ich weiß es einfach nicht mehr.«
»Dann … was machen wir dann?«
Niedergeschlagen schüttelte er den Kopf.
Er hatte nichts als Fragen und keine Antworten. Die ihm anvertrauten Menschen waren mit ihrem Leben davon abhängig, dass er Antworten hatte oder wenigstens
Weitere Kostenlose Bücher