Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
aufgeschreckt und hatte festgestellt, dass sie mit den Zähnen knirschte, weil sie eine Begebenheit aus der Vergangenheit noch einmal durchlebte, nur dieses Mal mit dem Wissen, das Sedric ihr hatte zukommen lassen.
Inzwischen glaubte sie, Klarheit darüber zu haben, welche ihrer Freunde und Bekannten über Hests wahre Vorlieben im Bilde gewesen waren. Und welche nicht nur von seinen Vorlieben, sondern auch um seine Beziehung zu Sedric gewusst hatten. Jetzt war plötzlich alles so offensichtlich. Die gelegentlichen Bemerkungen, die ihr einst rätselhaft geblieben waren, erkannte sie nun als Gehässigkeiten. Die Kränkungen in Gesellschaft ergaben nun einen Sinn. Sie erinnerte sich an Händler Feldon, der sich an seinem Wein verschluckt hatte, als seine junge Frau sich mitfühlend nach ihren Bemühungen, schwanger zu werden, erkundigt hatte. Damals hatte sie gedacht, es wäre ihm peinlich gewesen. Jetzt war sie überzeugt, dass er ein Kichern hatte unterdrücken müssen bei der Vorstellung, wie sie mit Hest schlief. Die Erinnerung daran, die sie nun in einem ganz anderen Licht betrachtete als bisher, tobte in ihrem Geist, als sie Sedric anblickte. Auch er war bei dieser Abendgesellschaft gewesen und hatte zu Hests Linken gesessen.
Unter ihrem Blick schien er denselben Schauder zu empfinden, der ihr über den Rücken lief. Kurz presste er die Lippen zusammen, bevor er mit einem Kopfschütteln etwas verwarf. »Alise, ich muss mit dir reden«, wiederholte er.
Sie seufzte. »Ich bin hier.« Sie legte den Stift ab.
Sedrics Nasenflügel zuckten, als er die steifen kleinen Vogelleiber betrachtete. Sie vernahm ein Rauschen. Es regnete, und die Tropfen prasselten auf die weite Wasserfläche um sie herum. Sedric ging zur Tür der Kombüse und schloss sie. Dann setzte er sich Alise gegenüber und legte einen abgegriffenen Leinensack auf den Tisch. Er faltete die Hände und erklärte dann: »Wenn ich fertig bin, wirst du mich noch mehr verachten als ohnehin schon. Aber dann hast du für mein Verhalten dir gegenüber jede Erklärung, die du brauchst und die dir zusteht. Und dann ist es getan. Ich werde nichts mehr haben, wofür ich mich entschuldigen muss, keine schmutzigen Geheimnisse mehr, von denen ich fürchten muss, dass du sie irgendwann entdeckst.«
Darauf faltete auch sie die Hände. »Das ist kein verheißungsvoller Beginn für ein Gespräch.« Ihr wurde flau im Magen.
»Nein, das ist es nicht. Nun denn, Alise. Als Hest mir aufgetragen hat, dich hierherzubegleiten, war ich fuchsteufelswild. Und verletzt, weil er mich dafür bestrafte, dass ich für dich Partei ergriffen habe. Ich habe darauf beharrt, dass es nur gerecht war, dir die Reise zum Regenwildfluss zu gestatten. Dabei habe ich ihn einmal zu oft daran erinnert, dass er dir das als Teil eures Ehevertrags zugesichert hat.« Er hielt kurz inne, doch sie ließ sich nicht anmerken, ob sie das auf die eine oder andere Weise beeindruckte. »Als klar wurde, dass es unausweichlich war, dass ich mit dir gehen musste, um die ›verdammten Drachen‹ zu sehen, habe ich mich an einen chalcedanischen Kaufmann erinnert, der Monate zuvor an Hest und mich herangetreten war. Er hatte sehr vorsichtig die Idee geäußert, Hest könnte aufgrund seiner Beziehungen zu den Regenwildhändlern in der Lage sein, an Drachentrophäen heranzukommen.« Er sah zu ihr auf und erwiderte ihren Blick. »Du weißt, dass der Fürst von Chalced, nachdem er wegen Alter und Krankheit gebrechlich geworden ist, nach Mitteln sucht, um sein Leben zu verlängern und seine Gesundheit wiederherzustellen.«
Sie gab leise zurück: »Über seine Anstrengungen, solche Dinge zu kaufen, weiß ich bestens Bescheid.«
Da senkte er den Blick wieder. »Ich habe mit dem Kaufmann Verbindung aufgenommen und ihm gesagt, wohin ich reisen würde. Er hat mich mit allem ausgerüstet, was ich seiner Meinung nach brauchte. Probenbehältnisse und Mittel zur Haltbarmachung. Und eine Liste mit den gefragtesten Trophäen.« Da riss er plötzlich das Kinn hoch und sagte dickköpfig: »Ich habe dich auf diese Reise mit dem Entschluss begleitet, diese Trophäen zu beschaffen. Mit ihnen wollte ich ein Vermögen machen, und anschließend wollte ich Hest überreden, dich zu verlassen und mit mir wegzugehen.«
Sie saß regungslos da und wartete auf den Rest.
»Was ich Leftrin vorwarf, habe ich tatsächlich selbst getan. Ich habe dich benutzt, um an die Drachen heranzukommen. Ich habe ihnen Schuppen und Blut geraubt und sogar das
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