Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
scharrte es an der Truhe.
Entsetzen packte Sedric, und er hätte beinahe die Kontrolle über seine Blase verloren. »Es tut mir leid!«, kreischte er. »Es tut mir so unendlich leid. Ich wusste nicht, was du warst. Bitte. Bitte, lass mich in Frieden. Lass meinen Geist in Ruhe. Bitte.«
»Sedric?« Die Kupferdrachin bäumte sich auf und nahm auf einmal Alises Gestalt an. »Sedric! Was hast du? Hast du Fieber? Oder einen Traum?« Sie legte ihre warme Hand auf seine feuchte Stirn. Krampfartig zuckte er zurück. Es war Alise. Es war nur Alise.
»Warum trägst du Drachenhaut? Und warum wühlst du in meinen Sachen?« Vor Schreck klang er empört und vorwurfsvoll.
»Ich … Drachenhaut? O nein, das ist eine Robe. Die hat mir Kapitän Leftrin ausgeliehen. Sie stammt von den Elderlingen und ist wundervoll. Außerdem juckt sie nicht auf der Haut. Da, fühl mal an den Ärmeln.« Sie streckte ihm den Arm hin.
Er traf keine Anstalten, den schimmernden Stoff zu berühren. Elderlingsstoff. Drachenstoff. »Das erklärt immer noch nicht, wieso du dich in meine Kabine geschlichen hast und in meinen Sachen stöberst«, beschwerte er sich bockig.
»Das habe ich nicht getan! Ich bin nicht ›hereingeschlichen‹! Ich habe angeklopft, und da du nicht geantwortet hast, kam ich herein. Die Tür war nicht verriegelt, und du hast geschlafen. Weil du in letzter Zeit immer so müde ausgesehen hast, wollte ich dich nicht wecken. Weiter nichts. Alles, was ich wollte, war ein bisschen Tinte, blaue Tinte. Die hast du doch immer in dem kleinen Schoßtisch, oder? Ah, hier ist sie. Ich nehme mir was und lasse dich wieder in Frieden.«
»Nein! Nicht aufmachen! Gib her!«
Sie wollte gerade den Riegel öffnen, erstarrte aber. Wie versteinert und ohne einen Laut reichte sie ihm den Kasten. Zwar widerstand er dem Drang, ihn ihr aus der Hand zu reißen, aber konnte die Erleichterung, ihn nicht mehr in ihren Händen zu wissen, nicht verbergen. Er setzte den Kasten so neben sich aufs Bett, dass sein Rumpf ihn vor ihren Blicken abschirmte. Sie sagte kein Wort, während er den Deckel hochklappte, die Hand hineinschob und nach den Tintenfässchen tastete. Das Glück war ihm hold, denn er zog das mit der blauen Tinte hervor. Als er es ihr reichte, brachte er eine halbherzige Entschuldigung über die Lippen. »Ich habe geschlafen, als du hereinkamst, und jetzt bin ich etwas durcheinander.«
»In der Tat«, gab sie kühl zurück. »Mehr brauche ich nicht von dir. Danke.« Sie schnappte sich das Fässchen, und während sie zur Tür hinausging, murmelte sie laut genug, dass er es hören konnte: »Hereingeschlichen, also so was!«
»Entschuldige!«, rief er ihr hinterher, aber sie schlug die Tür zu.
Sobald sie draußen war, rollte er sich vom Bett, um die Tür zu verriegeln. Dann ging er vor dem Geheimfach auf die Knie. »Das war nur Alise«, redete er sich ein. Ja, aber wer weiß, was die Kupferdrachin ihr erzählt hatte? Die Schublade klemmte, und er brachte sie nur mit Mühe auf. Dann zwang er sich, ruhiger zu werden, während er vorsichtig das Fläschchen mit dem Drachenblut herausnahm. Es war heil. Und es war noch immer da.
Und er war noch immer unter ihrem Einfluss.
Er hatte die Tage nicht gezählt, die verstrichen waren, seit er von dem Drachenblut gekostet hatte. Das zweifache Bewusstsein kam und ging wie Doppelsehen nach einem Schlag auf den Kopf. Manchmal war er beinahe er selbst – mürrisch und niedergeschlagen, aber dennoch Sedric. Dann fluteten ihn wieder körperliche Empfindungen und konfuse Erinnerungen und legten sich über ihn wie eine zweite Haut, während ihre Verwirrung sich mit seinen Gedanken mischte. Manchmal versuchte er, ihr die Welt zu erklären. Du fliegst nicht, sondern watest im Wasser. Manchmal hebt dich das Wasser fast von den Füßen, aber das ist nicht Fliegen. Dafür sind deine Schwingen zu schwach.
Manchmal sprach er ihr Mut zu. Die anderen sind schon fast außer Sichtweite. Streng dich an und geh schneller. Du schaffst das. Geh ein Stück nach links, dort ist das Wasser flacher. Siehst du? Hier geht es doch viel leichter voran, oder nicht? Braves Mädchen. Nicht stehen bleiben. Ich weiß, dass du Hunger hast. Halte nach Fischen Ausschau, vielleicht findest du einen, den du fressen kannst.
Manchmal, wenn er freundlich zu ihr war, empfand er diffusen Stolz darüber. Dann wieder kam es ihm so vor, als müsste er sich bis in alle Ewigkeit um ein blödes Kind kümmern. Mit großer Anstrengung gelang es ihm zuweilen, ihr
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