Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
»Kennt ihr denn eure eigene Geschichte nicht? Das haben wir Händler schon immer getan, wir haben immer weitergemacht. Und ganz davon abgesehen«, fügte sie mit einem Schulterzucken hinzu, »bleibt uns auch nichts anderes übrig.«
Neunzehnter Tag des Gebetsmonds
IM SECHSTEN JAHR DES UNABHÄNGIGEN HÄNDLERBUNDS
Von Detozi, Vogelwart in Trehaug, an Erek, Vogelwart in Bingtown Anbei der Bericht des Regenwildkonzils in Cassarick an das Regenwildkonzil in Trehaug über das Erdbeben, den schwarzen Regen und die weiße Flut und das wahrscheinliche Ableben der Mitglieder der Kelsingra-Expedition, der Mannschaft Teermanns und der Drachen.
Erek,
nie zuvor haben wir eine Springflut erlebt wie diese, die uns jüngst getroffen hat. In beiden Ausgrabungsstätten gab es Tote, die Hafenanlagen, die man in Cassarick gerade neu gebaut hatte, wurden fortgerissen, und Dutzende Bäume, die den Fluss gesäumt haben, sind umgestürzt. Man kann von Glück sagen, dass nur so wenige Häuser zerstört wurden. Die Schäden an den Brücken und an der Halle der Händler sind beträchtlich. Was aus den Drachen und ihren Hütern wurde, werden wir wohl nie erfahren. Erst gestern brachte mir ein Vogel Eure Notiz, dass Ihr die Regenwildnis besuchen wolltet. Ich hoffe, Ihr wart noch nicht auf dem Fluss. Falls Ihr wohlauf seid, sendet mir bitte eine Taube mit entsprechender Nachricht, sobald Euch dieser Brief erreicht.
Detozi
6
Gefährten
W asser spritzte ihm ins Gesicht und schreckte ihn aus seinem Albtraum auf. Er hustete und spuckte. »Aufhören!«, keuchte er und versuchte, bedrohlich zu klingen. »Geh aus meinem Zimmer! Ich stehe ja schon auf. Ich komme nicht zu spät.«
Trotz seiner Bitte schüttete sie noch mehr Wasser in sein Gesicht. Jetzt konnte seine dumme Schwester aber etwas erleben!
Er öffnete die Augen und fand sich in einem neuen Albtraum wieder. Er baumelte kopfüber im Maul eines Drachen. Das Geschöpf schwamm in einem weißen Fluss. Der Himmel hatte die unbestimmte Farbe der Dämmerung. Kaum einen Fingerbreit schwebte Sedrics Kopf über dem Wasser. Er spürte den Druck der Drachenzähne an seinem Rücken und an der Brust. Seine Arme und Beine hingen heraus und schleiften durchs Wasser. Der Strom hatte den schwimmenden Drachen erfasst und trieb ihn beständig flussabwärts. Die Drachin war erschöpft. Verbissen paddelte sie mit den Vorderpranken, vor, zurück, vor, zurück. Er drehte den Kopf und sah, dass lediglich Schulter und Kopf der Drachin aus dem Wasser ragten. Die Kupferne ging unter. Und wenn sie die Kraft verließ und sie ertrank, würde er ihr Schicksal teilen.
»Was ist passiert?«, fragte er mit krächzender Stimme.
Großes Wasser. Sie brachte nur ein Gurgeln hervor, aber die Worte formten sich in seinem Kopf. Sie zwang ihm ein Bild auf, eine brechende, weiße Welle voller Felsen, Holzstücke und toter Tiere. Immer noch war die bewegte Wasseroberfläche mit Treibgut übersät. Sie trieben neben einem Gewirr aus Kriechpflanzen und Zweigen. An einer Stelle ragte der Huf eines Tieres heraus. Der Strom erfasste das Knäuel, wirbelte es herum und löste es auf.
»Was ist aus den anderen geworden?« Die Drachin antwortete ihm nicht. Er war zu nahe am Wasser, um eine vernünftige Sicht zu haben. Ringsum sah er nur Wasser. Konnte das möglich sein? Langsam drehte er den Kopf von einer auf die andere Seite. Kein Teermann . Kein Boot. Keine Hüter und keine anderen Drachen. Nur er, die Kupferdrachin, der breite Fluss und der ferne Wald.
Er versuchte, sich an das Davor zu erinnern. Er hatte den Kahn verlassen. Dann hatte er mit Thymara gesprochen. Er hatte die Drachin gesucht. Denn er hatte die Sache klären wollen. Irgendwie. Und da brach seine Erinnerung ab. Er wollte seine Lage in dem Drachenmaul verändern, aber da durchfuhren ihn stechende Schmerzen, wo die Zähne sich in seinen Körper drückten. Seine Füße waren kalt und beinahe taub. Im Gesicht brannte ihm die Haut. Es gelang ihm, seinen Arm zu bewegen, aber die kleine Regung reichte aus, dass der Drachenkopf aus dem Gleichgewicht geriet. Die Kupferne fing sich noch einmal und schwamm weiter, aber nun war er kaum noch über der Wasseroberfläche, und der Fluss drohte, in ihr Maul zu schwappen.
Er blickte sich um, weil er sehen wollte, wie weit sie vom Ufer entfernt waren, aber er konnte es nicht erkennen. Auf einer Seite bemerkte er eine Reihe Bäume, die aus dem Wasser ragten. Doch wenn er in die andere Richtung blickte, sah er nur
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