Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
den Fluss. Wann war er nur so breit geworden? Er blinzelte, um klarer sehen zu können. Allmählich wurde es Tag, und Licht spiegelte sich auf der weißen Fläche. Unter den Bäumen war kein Ufer mehr, das Wasser hatte es verschluckt.
Und die Drachin schwamm mit der Strömung flussabwärts.
»Kupferdrachin«, sagte er, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Hartnäckig ruderte sie weiter.
Er kramte in seiner Erinnerung, bis ihm ihr Name wieder einfiel. »Relpda. Schwimm zum Ufer. Nicht einfach nur den Fluss hinunter. Schwimm zu den Bäumen. Da hinüber.« Er machte Anstalten, den Arm zu heben, aber es tat weh, und als er dabei das Gleichgewicht verlagerte, drehte die Drachin den Kopf und hätte sein Gesicht beinahe ins Wasser getaucht. Noch immer paddelte sie stromabwärts.
»Verdammt, hör mir zu! Halte auf das Ufer zu! Das ist unsere letzte Hoffnung. Bring mich dorthin, zu den Bäumen, und dann kannst du machen, was du willst. Ich will nicht in diesem Fluss krepieren.«
Er wusste nicht, ob sie überhaupt gemerkt hatte, dass er mit ihr gesprochen hatte oder nicht. Vor, zurück, vor, zurück. Im Takt ihrer Ruderschläge wippte er in ihrem Maul.
Er fragte sich, ob er alleine zu den Bäumen würde schwimmen können. Er war nie ein guter Schwimmer gewesen, aber die Furcht vor dem Ertrinken würde ihm vielleicht Kraft verleihen. Probehalber bewegte er die Beine, was ihm einen weiteren Tauchgang einbrachte und die Erkenntnis, dass er bis ins Mark durchgefroren war. Sollte die Drachin ihn nicht ans Ufer bringen, würde er es alleine auch nicht erreichen. Und so, wie sie im Moment schwamm, hatte er große Zweifel, dass sie es schaffen würde. Aber sie war seine einzige Chance. Wenn er sie doch nur dazu bringen könnte, zuzuhören.
Er dachte an Alise und Sintara. Er hob die Hand, um ihr schuppiges Kinn zu berühren. Seine Haut war aufgeweicht und schrumpelig. Und sie war gerötet. Vermutlich würden ihm die Hände wehtun, sobald sie warm würden. Daran durfte er im Moment jedoch nicht denken.
»Meine Schöne«, begann er und kam sich dabei töricht vor. Fast im selben Augenblick spürte er einen Funken Aufmerksamkeit. »Liebliche Kupferkönigin, die du blitzt wie eine frisch geschlagene Münze. Du mit den wirbelnden Augen und den glitzernden Schuppen, bitte höre mich.«
Höre dich.
»Ja, höre mich. Wende dein Haupt. Siehst du die Bäume dort, wie sie aus dem Wasser ragen? Liebliche, wenn du mich dort hinbringen würdest, könnten wir beide ausruhen. Ich könnte dich putzen und dir vielleicht sogar etwas zu essen suchen. Ich weiß, dass du Hunger hast, das spüre ich.« Das war auf eine bestürzende Weise die Wahrheit, wie ihm auffiel. Und wenn er seine Gedanken schweifen ließ, spürte er auch ihre zunehmende Erschöpfung. Entschlossen schob er die Empfindung beiseite. »Lass uns dorthin gehen, damit du die Ruhe bekommst, die du so reichlich verdient hast, und damit ich das Vergnügen habe, dein Gesicht vom Schlamm zu befreien.«
Er war nicht besonders gut darin. Außer ihr zu versichern, dass sie schön war, wusste er nicht, mit welchen Komplimenten man einem Drachen schmeicheln konnte. Deshalb wartete er auf eine Reaktion. Sie wandte den Kopf, schaute zu den Bäumen und paddelte weiter. Obwohl sie dennoch nicht geradewegs auf das Ufer zuhielt, würden sie so wenigstens irgendwann mit ihm zusammentreffen.
»Du bist äußerst weise, liebliche Kupferne. So schön und herrlich und glänzend und kupferrot. Schwimm zu den Bäumen, mein kleiner kluger Drache.«
Wieder spürte er die Wärme und war eigenartig gerührt davon. Auch schienen die Schmerzen in seinen Gliedern nachzulassen. Offenbar störte es sie nicht, dass seine Worte schlicht und unbeholfen waren. Er lobte sie, und dafür wandte sie sich umso deutlicher dem Ufer zu und ruderte mit neuer Kraft. Kurz spürte er, was diese zusätzliche Anstrengung von ihr forderte. Da empfand er fast schon Scham über das, was er ihr abverlangte. »Aber wenn ich es nicht tue, wird keiner von uns überleben«, murmelte er und nahm den Schatten ihres Einverständnisses wahr.
Als sie sich den Bäumen näherten, verließ ihn der Mut. Der Fluss hatte sich ausgebreitet. Unter den Bäumen gab es kein Land, nicht einmal einen Sumpf. Nur die undurchdringliche Reihe der Bäume, deren Stämme wie die Gitterstäbe eines Käfigs aufragten und Relpda am Eindringen hindern würden. Im Schatten des Blätterdachs bildete das bleiche Wasser einen stillen uferlosen See, der sich in der
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