Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
Dunkelheit verlor.
Nur eine Stelle weckte Hoffnung. Hier bildete die Linie der Bäume eine Nische, in der eine Rücklaufströmung Äste, Stämme und Gesträuch dicht zusammengedrückt hatte. Abgebrochene Zweige und allerlei Treibgut hatten sich hier zu einer reglosen, schwimmenden Insel aufgetürmt. Zwar sah es nicht einladend aus, aber wenn er erst einmal dort wäre, konnte er aus dem Wasser steigen und vor dem Abend vielleicht sogar wieder trocken werden.
Auf mehr konnte er nicht hoffen. Kein warmes Essen, kein angenehmer Schluck, keine sauberen, trockenen Kleider zum Wechseln, noch nicht einmal eine grobe Pritsche, um sich hinzulegen. Nichts erwartete ihn dort außer das nackte Überleben.
Und auf den Drachen wartete nicht einmal das, vermutete er. Während die verkeilten Stämme ihm eine Möglichkeit boten, aus dem Wasser zu steigen, war ihr dieser Weg verwehrt. Obwohl sie inzwischen mit aller Kraft schwamm, würde es ihr nichts nützen. Es gab nur wenig Hoffnung für ihn und gar keine für sie.
Nicht retten mich?
»Wir werden es versuchen. Ich weiß zwar nicht, wie, aber wir werden es versuchen.«
Für einen langen Moment spürte er, dass sie seinen Geist verlassen hatte. Da fiel ihm auf, dass seine Haut brannte und dass sich ihre Zähne in seinen Leib bohrten. Seine verkrampften Muskeln taten ihm weh, und die Kälte betäubte und schmerzte ihn gleichermaßen. Dann kehrte sie zurück mit ihrer Wärme und vertrieb seine Qual.
Kann retten dich, verkündete sie. Er fühlte, wie er von Zuneigung eingehüllt wurde. Warum?, fragte er sich. Wieso mochte sie ihn?
Weniger allein. Du machst Welt mir erklären. Sprich mit mir. Ihre Wärme umfasste ihn.
Sedric holte Luft. Sein ganzes Leben lang war ihm bewusst gewesen, dass er geliebt wurde. Seine Eltern liebten ihn, Hest hatte ihn geliebt, glaubte er. Alise liebte ihn. Er hatte die Liebe gekannt und hingenommen, dass sie einfach so existierte. Aber nie zuvor hatte er erfahren, dass Liebe eine tatsächliche körperliche Regung war, die von einem anderen Wesen ausging, ihn wärmte und tröstete. Das war unglaublich. Zögernd kam ihm ein Gedanke.
Spürst du es, wenn ich dich mag?
Manchmal. Ihre Antwort war zurückhaltend. Ich weiß, dass es nicht echt ist, manchmal. Aber nette Worte, schöne Worte, fühlen gut, auch wenn nicht echt. Wie wenn man denkt an Essen, wenn hungrig.
Plötzlich schämte er sich. Langsam holte er Luft und offenbarte ihr seine Dankbarkeit. Er ließ seinen Dank zu ihr fließen, weil sie ihm vergeben hatte, dass er ihr Blut geraubt hatte, weil sie ihn gerettet hatte, weil sie seinetwegen weiterkämpfte, obwohl er ihr kaum Hoffnung auf Rettung geben konnte.
Als hätte er Öl in ein Feuer gegossen, wuchs ihre Wärme und Zuneigung. So sehr, dass ihm sogar in den Gliedern wärmer wurde, und auf einmal wurden ihre monotonen Paddelbewegungen kräftiger. Zusammen würden sie vielleicht überleben. Beide.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren schloss er die Augen und hauchte ein inniges Gebet zu Sa.
»Nimm dein Essen mit hoch. Halte weiter Ausschau«, befahl Leftrin dem jungen Davvie. »Ich möchte, dass du oben auf dem Dach des Deckshauses in alle Richtungen blickst. Beobachte das Wasser und suche nach Leuten, die sich an Treibgut festhalten. Suche die Bäume ab, achte auch darauf, ob jemand oben in den Ästen sitzt. Nicht nachlassen. Und blase das Horn. Dreimal, dann machst du eine Pause und lauschst. Und dann bläst du wieder dreimal.«
»Jawohl, Kapitän«, sagte Davvie matt.
»Du schaffst das«, sagte Carson hinter ihm. Er gab dem erschöpften Jungen einen Klaps auf die Schulter, der beinahe schon ein Stoß war. Der Junge schnappte sich zwei Scheiben Schiffszwieback und einen Becher Tee und ging hinaus.
»Er ist ein guter Junge. Ich weiß, dass er müde ist«, sagte Leftrin. Zum einen wollte er sich damit entschuldigen, dass er den Jungen so angefahren hatte. Gleichzeitig wollte er seinen Dank ausdrücken, dass er den Jungen einsetzen durfte.
»Er will sie genauso dringend finden wie alle anderen auch. Er wird so lange weitermachen, wie er kann.« Carson zögerte, bevor er damit herausplatzte. »Was ist mit Teermann ? Kann er uns nicht bei der Suche helfen?«
Es war gut gemeint, musste Leftrin sich in Erinnerung rufen. Dennoch. Carson war ein alter Freund und nicht Teil der Mannschaft. Über manche Dinge sprach man nicht außerhalb dieser Familie, nicht einmal mit alten Freunden. »Wir holen alles aus dem Kahn heraus, was möglich ist,
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