Rainer und die Puppenmutter
den Besen einfach hin und entriß Bällchen die Schippe. Wie der schippen konnte!
Dita wurde heiß und kalt auf ihrem Beobachtungsposten. Das sah ja geradeso aus, als ob der Rainer gar nicht so schlimm wäre, wie sie immer gedacht hatten. Wie der arbeitete! Auf die Leute, die vorbeigingen, nahm er gar keine Rücksicht. Er schrie bloß immer: „Achtung! Schneepflug!“ und— schwuppdiwupp — war wieder ein Berg Schnee am Straßenrand.
Es begann erneut zu schneien. Groß und dicht fielen die Flocken zur Erde. Der Rainer aber lachte unten mit den Mädchen, als hätte er sie vorher nie mit Schneebällen beschossen. Und nun hörte Dita, wie er fragte: „Baut ihr bei eurer nächsten Zusammenkunft wieder Schneemänner?“
„Nein, das wohl nicht“, meinte Rübchen. „Immer Schneemänner bauen, ist langweilig. Wir werden wohl in die Ausstellung am Rathaus gehen. Da sind Kinderzeichnungen ausgestellt. Von Kindern aus der ganzen Welt. Und Bastelarbeiten auch.“ „Bastelarbeiten?“ Rainer stützte sich auf den Stiel der Schippe. „Auch Laubsägearbeiten?“
„Das weiß ich nicht“, entgegnete Rübchen.
„Ich mach’ nämlich viel Laubsägearbeiten“, erklärte Rainer wichtig. „Mir fehlt bloß immer das Holz.“
„Kann man das nicht kaufen?“ erkundigte sich Bällchen. „Kann man schon — wenn man Geld hat“, gab Rainer zurück. „Du kannst ja am nächsten Mittwoch mit in die Ausstellung gehen“, sagte Rübchen einladend. „Vielleicht sind Laubsägearbeiten dabei.“
Dita zitterte vor Kälte, aber sie wollte doch abwarten, was Rainer antwortete. Der schaufelte erst weiter, und dann schnaufte er: „Ja, vielleicht gehe ich mit, wenn ihr hingeht.“
Da schlug Dita zornig das Fenster zu.
Alles ohne Dita
Während des Unterrichts war Dita sehr unaufmerksam. Ab und zu steckte sie nachdenklich den Daumen in den Mund, dann wieder strich sie sich völlig unnötig ihre Ponyfrisur glatt. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit Rainer. Der war anscheinend gar nicht so ein arger Taugenichts. Er machte Laubsägearbeiten und half beim Schneeschippen.
Aber es war schließlich Rainers Schuld, daß sie nicht mit ihm gespielt hatten. Vom ersten Tage an, als Herr Pilz mit ihm in das Haus Fischbachstraße Nr. 26 gezogen war, war er frech zu den Mädchen gewesen. Und darum hatten sie immer Reißaus vor ihm genommen.
Und nun wollte er zur nächsten Zusammenkunft kommen! Und alles geschah, ohne daß sie sich dabei hervorgetan hätte! Sie wollte sich aber hervortun!
Sie war die Beste in der Klasse!
Als Fräulein Jüngling sie aufrief, hätte man allerdings denken können, daß Dita eine der schlechtesten Schülerinnen sei. Sie gab zwei völlig verkehrte Antworten. Die ganze Klasse kicherte.
Niedergeschlagen setzte sich Dita. Aber weil sie dabei aus dem Fenster sah, kam ihr ein guter Einfall.
Draußen schneite es noch immer. Wie ein dichter Vorhang hing das Flockengewebe vor den Scheiben. Da würde sicher der Gehweg vor ihrem Hause völlig verschneit sein! Und Frau Niggelmann konnte die Arbeit nicht bewältigen, weil sie von dem dummen Rheuma geplagt wurde.
Dita nahm sich vor, ganz schnell nach Hause zu eilen, wenn die Schule zu Ende war. Und bevor die anderen kamen, konnte sie gut und gerne schon den halben Gehweg freigeschippt haben. Da würden die aber staunen!
In der Pause hörte sie, daß Rübchen die Lehrerin bat, am nächsten Mittwoch bestimmt mit ihnen in die Ausstellung zu gehen.
„Der Rainer will mitkommen“, fügte Bällchen hinzu. „Er will sehen, ob auch Laubsägearbeiten ausgestellt sind. Er kann nämlich mit der Laubsäge gut umgehen.“
„Hat er euch das erzählt?“ fragte Fräulein Jüngling gespannt.
„Ja, heute morgen, als wir Schnee geschippt haben. Da hat er auch mitgeholfen.“
Dita hätte am liebsten losgeweint! Nicht einmal das konnte sie Fräulein Jüngling erzählen, denn dann hätte sie zugeben müssen, daß sie sich vorm Schneeschippen gedrückt hatte. Und ehrlich war Dita. Im stillen gab sie zu, daß das nicht schön von ihr gewesen ist. Auf dem Weg zur Schule hatte sie Bällchen und Rübchen gar nicht richtig in die Augen sehen können vor Scham.
„Ich mache auch gerne Laubsägearbeiten“, sagte der dicke Heinz, der in der Nähe stand. „Zu Weihnachten habe ich einen prima Kalender ausgesägt.“
„Na, da könnt ihr euch ja gut über eure Arbeit unterhalten, du und der Rainer“, meinte die Lehrerin.
Heinz zögerte. Er legte den Zeigefinger ans Kinn und sah Fräulein
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