Raketenmänner (German Edition)
habe einen Fehler gemacht.«
»Vielleicht nur einen. Den aber immer wieder.«
»Jetzt hast du sie verlassen.«
»Ich bin beruflich unterwegs«, stellte Kamerke klar.
»Sie ist kein schlechter Mensch.«
»Auch gute Menschen tun böse Dinge.«
»Meine Kinder lieben die Bücher ihrer Tante.«
»Was hat das damit zu tun?« Manchmal war sein Bruder mindestens so naiv wie die Leute, die einen Hang zu Heizpilzen und Schönheitsoperationen hatten.
»Fährst du morgen nach Hause?«
»Muss erst noch woandershin«, sagte Kamerke nach einer kurzen Pause.
»Habe gehört, das geht schon seit ein paar Wochen so.«
»Du hast gute Ohren.«
Irgendwann sah der kleine Bruder auf die Uhr. »Die Rechnung bitte!«, sagte er zur Kellnerin.
Beide Brüder griffen nach ihren Portemonnaies.
»Lass mal!«, sagte der Bruder und legte Kamerke eine Hand auf den Unterarm.
»Nein, nein«, sagte Kamerke. »Ich kann das absetzen. Ich bin beruflich hier.«
»Ist schon in Ordnung.«
Kamerke spürte, dass sein Bruder versuchte, es nicht herablassend klingen zu lassen. Der Versuch war misslungen. Sie machten sich auf den Weg zu der Frau, die vor fünfzig Jahren mit einem Beatle geschlafen hatte.
»Hallo!«, rief die Kellnerin, als sie schon ein paar Meter entfernt waren. »Sie haben Ihre Rose vergessen!«
Kamerke zögerte kurz, ging schließlich zurück und nahm das Ding wieder an sich.
Sie steuerten den nächsten Taxistand an, und Kamerke stieg vorne ein. Sein Bruder musste alleine hinten sitzen und konnte deshalb auch den Bezahlvorgang nicht unterbinden.
Sie stiegen direkt vor der Blockhütte aus. Hier würden sie ihren Kontaktmann treffen. Die Kneipe hatte keinen Freisitz, sodass niemand anbieten konnte, einen Heizpilz einzuschalten. Das Thema war für heute erledigt.
Kamerkes Bruder öffnete die Tür. Das Innere hielt, was der Name versprach. Aber nicht jedes eingelöste Versprechen ist auch eine Freude, dachte Kamerke. Die Wände sahen aus wie aus Baumstämmen zusammengefügt. Grobe Tische und Stühle. An der Theke Barhocker mit Sätteln drauf. Die Kneipe bestand nur aus einem Raum. Der Wirtin nach zu urteilen griff das Nichtraucherschutzgesetz hier nicht. Sie sah sehr alt aus, trug eine schwarze Fransenweste über einer weißen Bluse, die mit roten Sternchen bedruckt war.
Rechts hinten in der Ecke saß ein Mann mit einem großen Stetson. Er hatte den Kopf so gedreht, dass sein Gesicht nicht zu erkennen war. Als die Tür ins Schloss fiel, wandte er sich Kamerke und seinem Bruder zu und grinste.
»Überraschung!«, sagte der Mann mit dem Stetson.
Kamerke fühlte sich unwohl mit der Rose in der Hand. Er legte sie auf einen Stuhl am Nebentisch.
Der Mann mit dem Stetson verzichtete darauf, sich vorzustellen. Kamerkes Bruder kannte ihn, nannte ihn aber nicht beim Namen. Er machte eine Kopfbewegung in Richtung Tresen.
»Ist sie das?«
»Das ist ihre Mutter.«
Die Wirtin kam, die Zigarette im Mundwinkel, zu ihnen herüber und fragte, was es sein dürfe. Ihre Stimme hörte sich unheimlich an. Als müsste sie jeden Moment ganz schlimm husten. Sein Bruder bestellte, ohne nachzufragen, Bier für alle drei.
»Das ist dein Bruder?«, fragte der Mann mit dem Stetson. Kamerkes Bruder bejahte. »Interessant«, meinte der Mann. Kamerke fragte sich, wie er das meinte. Die Wirtin brachte Flaschenbier.
»Schönes Buckle!«, sagte der Mann mit Blick auf die Region, in der vorhin noch Kamerkes Gürtelschnalle zu sehen gewesen war. Im Sitzen spannte da nur ein Hemd.
»Danke für die Blumen«, sagte Kamerke und hätte beinahe eine Diskussion darüber angefangen, ob es der oder das Buckle hieß.
Die nächsten zwei Stunden waren zäh. Kamerkes Bruder und der Mann mit dem Stetson redeten über irgendwelche Dinge, die in den letzten Wochen in der Zeitung gestanden hatten, aber eben nur hier.
Kamerke kam sich vor, als wäre er nicht anwesend, und zwar nirgendwo. Er fühlte sich gefangen in einer prinzipiellen Abwesenheit von der Welt und von sich selbst. Anwesend war er nur gegenüber dieser Rose, die ihn vom Stuhl am Nebentisch ansah. An welchem Punkt deines Lebens bist du, fragte er sich, wenn du darauf wartest, eine Frau zu treffen, die vor fünfzig Jahren mal mit einem späteren Weltstar geschlafen haben soll? Auf jeden Fall an einem Punkt, an dem du dir die Geschichten, die du schreiben willst, noch immer nicht aussuchen kannst. In vier Jahren würde er sechzig werden. Wahrscheinlich. Bis dahin musste er es hinbekommen, dass er über sich
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