Raketenmänner (German Edition)
selbst bestimmen konnte.
Sein Bruder und der Mann mit dem Stetson tranken Bier um Bier. Kamerke hielt sich zurück. Die Kneipe füllte sich mit Leuten. Die Männer trugen karierte Hemden und Lederwesten. Oder auch Hemden mit aufwendigen Ornamenten im Brust- und Schulterbereich. Einige trugen einen Staubschutz über ihren Jeans, fast alle einen Hut, ein paar wenige einen Colt im Holster. Auch unterschiedliche Buckles waren zu sehen. Es wurde viel geraucht. Zigaretten, Zigarillos, Zigarren. Eine Lüftung schien es nicht zu geben oder sie funktionierte nicht. Dicke bläuliche Schwaden reichten von Baumstammwand zu Baumstammwand. Die ganze Zeit lag die Rose auf dem Stuhl am Nebentisch. Niemand nahm Notiz von ihr.
Ein Mann in einem weißen Hemd, dessen Kragen von einer Bow-Tie geschlossen wurde, kam an ihren Tisch und unterhielt sich mit dem Mann mit dem Stetson. Kamerkes Bruder schien ihn nicht zu kennen, beteiligte sich aber trotzdem an dem Gespräch. Kamerke betrachtete den großen, silbernen Buckle des Mannes. Er oder es zeigte vier Spielkarten (Asse) und zwei Würfel. Darüber zog sich ein Spruchband: Life’s a Gamble. Kamerke fühlte sich unwohl. Er wollte sich mit diesen Leuten nicht gemein machen.
Er fragte sich, wie lange es diese Kneipe schon gab und ob vielleicht auch Paul McCartney schon hier gewesen war. Unwahrscheinlich. Aber er musste zugeben, es hatte seinen Reiz, durch die Straßen zu gehen und sich zu fragen, ob sich da oder dort vielleicht ein Beatle an eine Hauswand gelehnt hatte.
Es wurde spät. Und irgendwann sagte der Mann mit dem Stetson, endlich sei es so weit. Sie drehten sich zum Tresen um. Auf dem einzigen Hocker ohne Sattel saß eine Frau mit schwarzen Jeans und einem Elvis-T-Shirt. Der Mann mit dem Stetson stand auf und ging hinüber. Kamerke und sein Bruder folgten ihm.
»Ingrid«, sagte der Mann mit dem Stetson, »darf ich dir zwei Freunde vorstellen?«
Ingrid musste Ende sechzig sein, wenn Paul McCartney sich damals nicht versündigt hatte. Sie sah allerdings auch so aus. Das beruhigte Kamerke.
Ingrid gab ihnen die Hand, sagte aber nichts.
»Die Jungs würden gerne mal hören, wie das damals gewesen ist.«
Ingrid schlug die Augen nieder und schwieg weiter. Dafür brüllte ihre Mutter vom anderen Ende des Tresens herüber: »Das hört nie auf! Aber umsonst ist nur der Tod!«
Ingrid blickte zwischen Kamerke und seinem Bruder hin und her. Sie war sich nicht sicher, wer hier das Sagen hatte. Der Bruder stieß Kamerke an, und der holte den Fünfzig-Euro-Schein hervor, den er eigens dafür in der Hosentasche aufbewahrt hatte, und reichte ihn an Ingrid weiter.
Ingrid fing an zu erzählen. Dass sie ja damals ganz dicke mit dem Paule gewesen sei, schon als sie das erste Mal hierhergekommen seien. Moment, wann war das noch gewesen? Sie tat so, als würde sie nachdenken, aber das spielte sie sehr schlecht. Dann ratterte sie ein paar Namen herunter. Von Menschen und Kneipen und Clubs. Erwähnte natürlich alle vier Beatles und vergaß auch den fünften nicht, Stuart Sutcliffe, und Astrid und Klaus. Kamerke hatte das alles schon oft gehört und gelesen.
Es ging auch noch darum, dass der Paule im Bett sehr lieb zu ihr gewesen sei. Der John sei da immer etwas ruppiger zu Werke gegangen. Den Vogel abgeschossen habe aber Little Richard, doch das sei eine andere Geschichte. Kamerke vermutete, dass diese andere Geschichte extra kostete.
»Und weißt du, wie man mich damals genannt hat?«
Kamerke schüttelte den Kopf.
»Die Rose von Hamburg! Schön, aber mit Dornen.«
Kamerke fand, es waren nur die Dornen übrig geblieben.
Der Mann mit dem Stetson sah Kamerke und seinen Bruder an, als wollte er sagen: Na, habe ich zu viel versprochen? Eindeutig, dachte Kamerke. Sein Bruder sah weg.
Während Ingrids Referat hatte sich die Kneipe weitgehend geleert. Hinter dem Tresen stand neben der Wirtin nun ein großer, dünner, ebenfalls sehr alter Mann, der mit niederländischem Akzent die Bestellungen der letzten Männer in ihren Sätteln wiederholte. Er trug eine viel zu kleine Weste und einen Cowboyhut aus Plastik. Die Wirtin mit der tiefen Stimme rief: »Willem, überlass die Getränke mir! Sorg mal lieber für Stimmung!«
Willem lachte, hängte sich eine Gitarre um, die er unter dem Tresen hervorgeholt hatte, und fing an zu singen. Er begann mit Yellow Submarine. Der Mann mit dem Stetson bestellte Korn. Kamerke musste mittrinken. Das war kein Problem mehr, er war jetzt außer Dienst.
Willem war
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