Raketenmänner (German Edition)
abwenden wollte, dann aber genauer hinsah. Sie blieb stehen. Und sah ihn durch die Windschutzscheibe an. Ihr Blick wanderte zu der weinenden jungen Frau und dann wieder zurück zu Frohnberg. Der hob grüßend die Hand. Seine Frau sah ihn noch ein paar Sekunden an und ging dann weiter. Frohnberg brach der Schweiß aus. Er wollte den Fensterheber betätigen, aber der reagierte nicht. Hektisch öffnete er die Tür und hätte beinahe den Wagen in der Spur neben ihm angestoßen. Dann fing der Fahrer hinter ihm an zu hupen, weil die Ampel auf Grün gesprungen war. Frohnberg schlug die Tür wieder zu und fuhr an. Er versuchte, seine Frau zu entdecken und wäre dabei beinahe auf einen Lastwagen aufgefahren.
Die Zwanzigjährige in seinem Auto hatte ihr Weinen unterbrochen und fragte nun ihrerseits, ob es Frohnberg gut gehe.
»Das war meine Frau«, sagte er.
»Oh.«
»Wir sind gleich am Bahnhof.«
»Ja, das sagten Sie schon«, murmelte die Frau.
Die nächste Ampel nahm er bei Gelb. Er setzte die Frau am Bahnhof ab und wäre beinahe mit ihrem Koffer weggefahren. Sie schlug mit der flachen Hand gegen die Scheibe, und Frohnberg stieg noch mal auf die Bremse.
Er lenkte den Wagen durch die Stadt und bog schließlich in die Straße ein, in der er wohnte, fuhr dann aber an seinem Haus vorbei.
Es war gerade mal kurz nach zehn.
Er dachte nach. Und fuhr auf die Autobahn.
Die Autobahn, die nach Norden führte, war pfeilgerade und wenig befahren. Frohnberg schaffte konstant 200 km/h. Hinter Emden ging es über Land weiter. Zur Mittagszeit saß er auf einer Düne und blickte über die Nordsee. Möwen kreisten über dem Meer. Schwäne waren nicht zu sehen.
Es ist so einfach, dachte er, vor allem, wenn man ein schnelles Auto hat. Er saß etwa eine Stunde einfach so da und war froh, dass es nicht regnete, obwohl es bedeckt war. Dann fuhr er in den nächsten Ort, um etwas zu essen. Im Foyer einer Sparkassenfiliale hingen Bilder von Häusern, die zum Verkauf standen. Keines davon lag direkt am Meer. Er aß Fisch in einem kleinen Restaurant ein paar Meter weiter.
Auf dem Rückweg geriet er in mehrere Staus, was ihn aber nicht störte. Er kam zu Hause an, als es schon dunkel war. Das Licht über der Eingangstür brannte, der Wagen seiner Frau stand in der Einfahrt zur Garage. Frohnberg parkte auf der Straße, griff nach hinten und verstaute die Mülltüten in seiner Aktentasche.
Er stand vor der Haustür und hatte den Schlüssel bereits in der Hand, als er es sich anders überlegte. Er ging durch den schmalen Durchgang neben dem Haus in den Garten. Im Schutz der Dunkelheit erreichte er die Strickleiter und kletterte nach oben ins Baumhaus. Er setzte sich so, dass er einen guten Blick auf das Geschehen in Küche und Wohnzimmer hatte. Seine Frau schnitt Brötchen auf, seine Söhne nahmen Wurst und Käse aus dem Kühlschrank und brachten beides zum Esstisch. Sie stellten Gläser und Teller auf den Tisch, während seine Frau Tomaten und Gurken in Scheiben schnitt.
Das hier, dachte Frohnberg, ist meine Zeit, das sind die besten Jahre meines Lebens.
Overbeck fragt nach
Overbeck öffnete die Augen. Er blickte durch die waagerecht gestellten Lamellen der Jalousie in die Linde vor dem Schlafzimmerfenster. Die Sonne schien, die Blätter freuten sich. Heute würde die Photosynthese das reine Vergnügen sein.
Brigitte mochte es nicht, wenn die Lamellen waagerecht standen. Sie hatte es gern dunkel. Aber es gab ein paar Dinge, auf die Overbeck nicht verzichten wollte. Seit anderthalb Jahren suchten sie jetzt ein Haus. Es hatte bisher aus unterschiedlichen Gründen nicht geklappt, aber mindestens einmal hatte Overbeck Nein gesagt, weil das Schlafzimmer nicht nach Osten ging. Natürlich hatte er das nicht laut ausgesprochen. Er war ja nicht blöd, nur verlobt.
Overbeck drehte sich auf den Rücken und starrte auf die Pickel der Raufaser unter der Decke. Auch so eine Sache, die ihn störte: Zimmerdecken hatten glatt zu sein.
Der Wecker begann zu piepen. Overbeck wartete ein paar Sekunden, bis Brigitte sich bewegte, dann schaltete er den Wecker aus. Zeit, das Tagwerk, die eigene Photosynthese zu beginnen, Zeit, die Welt wieder ein bisschen besser zu machen, Menschen zu helfen. Traumjob Anwalt, dachte Overbeck.
Brigitte drehte sich zu ihm und küsste ihn. Früher hatte der Tag mit Sex begonnen, heute war am Anfang Mundgeruch. Damals: die faulen, unanständigen Tage mit Petra Schliefenbaum, kaum wach, schon die Hände am anderen, das Bett zu
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