Rambo
dann los.«
»Nein. Noch heute abend.«
»Was soll das heißen?«
»Wir gehen sofort los.«
»Habe ich dir nicht eben gesagt, daß es in einer Stunde dunkel sein wird? Außerdem ist Neumond. In einer so großen Gruppe werden wir nur voneinander getrennt und verlieren einander in der Dunkelheit.«
Das hatte Teasle erwartet. Er war sicher gewesen, Orval würde die Verfolgung bis zum nächsten Morgen aufschieben wollen. Das war die vernünftigste und praktischste Methode. Nur eines stimmte nicht bei dieser praktischen Methode: er konnte nicht so lange warten.
»Neumond oder nicht, wir müssen sofort die Verfolgung aufnehmen«, sagte er zu Orval. »Er ist bereits außerhalb unseres Zuständigkeitsbereiches, und wir dürfen den Fall nur dann weiterbehandeln, wenn wir ihm während der Flucht auf den Fersen bleiben. Wenn ich bis morgen früh warte, muß ich den Fall der Staatspolizei übergeben.«
»Dann gib ihn doch ab. Es ist sowieso ein dreckiger Job.«
»Nein.«
»Was für einen Unterschied macht es denn? Die Staatspolizei kommt sowieso bald – sobald der Kerl, dem dieses Stück Land gehört, sie anruft und sich beschwert, daß all diese Autos auf seinen Feldern rumfahren. Wie es auch kommt, du mußt ihnen den Fall übergeben.«
»Nicht, wenn wir schon im Wald sind, wenn sie ankommen.«
Es wäre besser gewesen, wenn er unter vier Augen mit Orval gesprochen hätte. Wenn er seinen Standpunkt nicht energisch genug vertrat, würde er in den Augen seiner Leute Gesicht verlieren, aber wenn er Orval zu sehr zusetzte, war der imstande, sich umzudrehen und nach Hause zu fahren.
Orvals nächste Worte machten das Ganze auch nicht besser: »Nein, Will, so leid es mir hat, dich enttäuschen zu müssen. Ich bin bereit, eine Menge für dich zu tun, aber diese Berge sind schon bei Tageslicht schwer passierbar, und ich hetze meine Hunde dort nicht in der Nacht zu Tode, nur weil du den anderen die Schau stehlen möchtest.«
»Ich verlange doch nicht, daß du sie zu Tode hetzt. Ich bitte dich lediglich, mit uns in den Wald zu gehen, und sobald du glaubst, daß es zu dunkel wird, halten wir an und kampieren. Dann bin ich offiziell immer noch auf der Verfolgung. Komm schon – wir haben doch schon oft im Freien kampiert, du und ich. Wie damals, als Papa noch am Leben war.«
Orval atmete tief durch und blickte sich um. Es wurde immer dunkler und kühler im Wald. »Siehst du denn nicht ein, wie hirnverbrannt das ist? Wir sind nicht ausgerüstet, um einen Flüchtigen zu verfolgen. Wir haben keine Gewehre, kein Essen…«
»Shingleton wird alles holen, was wir brauchen. Wir geben ihm einen deiner Hunde, damit er uns morgen früh findet. Ich habe genügend Leute, um den Dienst in der Stadt reibungslos abzuwickeln, und Shingleton kann morgen noch vier von ihnen mitbringen. Und ich habe einen Freund am Flughafen, der seinen Hubschrauber zur Verfügung stellt, uns alles einfliegt, was wir brauchen, und nach dem Jungen Ausschau hält. Der einzige, der uns noch aufhalten könnte, bist du. Ich bitte dich darum. Willst du mir helfen?«
Orval blickte auf seine Füße hinab und scharrte mit dem Stiefel im Sand.
»Ich habe nicht viel Zeit, Orval. Wenn wir jetzt gleich anfangen, muß mir die Staatspolizei das Kommando lassen. Sie muß mir Hilfe leisten, die Straßen, die aus den Bergen führen, absperren, aber uns hier oben die Verfolgung überlassen. Ich sage dir ganz offen, Orval – ohne deine Hunde müßte ich aufgeben.«
Orval blickte auf und zog langsam einen Tabakbeutel und Zigarettenpapier aus der Jackentasche. Während er sorgfältig eine Zigarette drehte, überlegte er, und Teasle wußte, daß er ihn jetzt nicht drängen durfte. Schließlich, als er schon ein Streichholz in der Hand hielt, sagte Orval: »Vielleicht würde ich es tun – wenn ich begreifen könnte, warum. Was hat dieser Junge dir getan, Will?«
»Er hat einen meiner Leute aufgeschlitzt und einen anderen so geschlagen, daß der vielleicht blind bleibt.«
»Ja, ja, Will.« Orval zündete das Streichholz an und schützte die Flamme mit den Händen, während er seine Zigarette ansteckte. »Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Was hat dir dieser Junge getan?«
2
Es war eine hoch gelegene, dicht bewaldete Gegend, von Schluchten durchschnitten und voller Höhlen und Mulden. Sie ähnelte den Bergen von North Carolina, wo er ausgebildet worden war. Sie ähnelte auch den Bergen, durch die er im Krieg geflüchtet war. Ein Gelände, in dem er sich auskannte und
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