Rampensau
Bertie mit sanfter Stimme. »Auch ich kann mich mal irren. Aber da, wo ich jetzt bin, haben Irrtümer keine Bedeutung. Auch Raum und Zeit zählen nicht mehr, sind sozusagen überflüssig geworden.« Er blickte in die Ferne, an Kim vorbei.
War da irgendwo ein Licht am Himmel – ein besonders großer Stern? Und hörte sie Musik, oder war das nur der Wind, der um sie strich?
»Was zählt denn da, wo du jetzt bist?«, fragte sie zaghaft.
»Oh«, sagte er. »Das ist leicht. Unsere Aura zählt.«
»Aura?«
»Was wir ausstrahlen! Wer wir sind! Ich zum Beispiel habe die Aura des freundlichen Ratgebers – hatte ich auf der Erde schon, aber nun ist sie viel echter und tiefer.«
»Auch wenn deine Ratschläge zu Irrtümern führen?«, wagte Kim einzuwenden.
»Nun ja …« Bertie verlor sein ewiges Lächeln und verzog das Gesicht. »Gegen einen Irrtum ist niemand gefeit …«
Plötzlich wurde der Wind lauter, erhob sich zu einem Dröhnen, dann blies er ihr so heftig ins Gesicht, dass es sie förmlich durchschüttelte.
Was sollte das? Missmutig schlug Kim die Augen auf, und der zerknirschte Bertie verschwand augenblicklich.
Eine blonde Frau hockte neben ihr und strich ihr über das Fell. Dieses Lächeln, dieser Geruch … Kim brauchte einen tiefen Atemzug lang, um zu begreifen, dass Swara sie anschaute.
»Na, kluge Kim«, sagte sie besänftigend. »Was für eine Aufregung, nicht wahr?«
Kim hob den Kopf. Sie lag auf der Seite, umringt von Männern in Uniformen, die aufgeregt umherliefen. Was war passiert? Warum war sie ohnmächtig geworden?
Sie schüttelte sich, und Swara wich zurück. Marcia Pölk, die Polizistin mit den dunkelroten Haaren, kam zu ihr und kauerte sich neben sie.
»Kollegin«, sagte sie, »lassen Sie das Schwein am besten wieder auf den Hof bringen. Und dann kümmern Sie sich bitte um Frau Miller. Die Saukerle haben die gute Frau mit K.o.-Tropfen betäubt.«
Swara nickte und griff nach ihrem silberfarbenen Apparat, während die Polizistin sich wieder erhob. Kim nutzte die Gelegenheit, sich aufzurichten. Ihre Beine waren so schwach, dass sie sich kaum halten konnte. In ihrem Kopf dröhnten noch immer die Schüsse nach, aber allmählich klärte sich zumindest ihre Sicht. David Bauer, der Polizist, lief ebenfalls umher und gab lautstark Anweisungen. Carlo stand mit zwei Männern an einem Polizeiwagen. Man hatte ihm die Hände gefesselt. Mats wurde gleichfalls von Polizisten umringt. Er musste seine Hände auf das Autodach legen, und sie tasteten ihn ab und forderten ihn auf, seine Taschen zu leeren. Nur Bornstein kauerte noch am Boden. Jemand hatte seine Hose aufgerissen und umwickelte sein blutiges Bein mit einem leuchtend weißen Verband.
Wo waren all die Leute so schnell hergekommen?, fragte Kim sich. Waren sie mit den Sirenen herangeflogen?
Michelfelder hatte doch nicht fliehen können. Der schwarze Kastenwagen stand mit offenen Türen quer auf der Straße. Dörthes früherer Geliebter saß auf dem Rücksitz, neben sich eine Polizistin. Er sagte kein Wort, sondern wischte sich ständig mit einem Tuch über das Gesicht, als wäre ihm zu heiß.
Aber wo war Dörthe?
Swara wandte sich Kim wieder zu und strich ihr behutsam über den Kopf. »Na, mein Schweinchen«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »Keine Sorge – es ist alles gut. Gleich kommst du wieder auf deine Wiese und hast deine Ruhe.«
Kim gab einen leisen dankbaren Grunzer von sich. Am liebsten hätte sie sich obendrein noch an Swara geschmiegt. Merkwürdig, dass anscheinend auch sie auf einmal zu den Polizisten gehörte. Im Vorbeigehen klopfte ihr Bauer auf den Rücken und sagte: »Gut, dass du uns sofort alarmiert hast. Leider haben wir noch keine Drogen gefunden. Fehlanzeige bisher.« Er wartete keine Erwiderung ab, sondern lief zu dem jammernden Bornstein weiter.
Kim reckte den Hals. Dörthe musste doch irgendwo sein. Ja, da saß sie in dem Rollstuhl, den man wieder aufgerichtet hatte. Die rothaarige Polizistin flößte ihr etwas zu trinken ein und schob ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dörthe glotzte immer noch vor sich hin, doch dann nickte sie leicht und versuchte den Arm zu heben, als Zeichen, dass sie die Polizistin verstanden hatte.
Vor Erleichterung atmete Kim tief ein. Sie hatte es geschafft – sie hatte Dörthe gerettet, genau, wie sie es sich geschworen hatte, und anscheinend war auch dem Kind in Dörthes Bauch nichts passiert. Jedenfalls machten weder Marcia Pölk noch die anderen Polizisten einen sonderlich
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