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Rampensau

Titel: Rampensau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Blum
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umgebracht – wegen ihr war er nun tot. Vielleicht hatte er es noch geschafft, sich irgendwo in eine Ecke zu schleppen, um da einsam und ohne ihren Trost zu sterben. Und gleich, wenn es dunkel geworden war, würden die fliegenden Mäuse sich auf ihn stürzen, würden ihn auffressen, ihn zerfleischen, ihm das Blut aussaugen, bis nichts mehr von ihm übrig war …
    Immer düsterere Gedanken türmten sich in ihrem Kopf.
    Eigentlich hätte sie sich aufmachen müssen, ihn suchen – und sie müsste es seiner Mutter sagen, müsste Emma gegenübertreten und ihr alles erklären – der Schuss, das Blut. Lunke … Fritz, Ihr Sohn … er ist leider … hat sich geopfert, um … Ach, sie würde es nicht einmal schaffen, der Bache zu gestehen, dass sie beide entgegen ihrer Warnung zu der Festung der Blutsauger gelaufen waren.
    Kim schloss die Augen. So viel Trauer und Verzweiflung hatte sie noch nie gespürt.
    Bertie, dachte sie, du könntest mir wenigstens ein Zeichen geben, doch sie empfing nichts. Kein Wollschwein tauchte mit tröstenden Worten in der Dunkelheit auf, die sie einhüllte.
    Als sie hörte, wie ein Auto vom Hof fuhr, öffnete Kim die Augen wieder. Nun saßen Finn und Dörthe allein da. Sie tranken rote Flüssigkeit aus gewölbten, kostbar aussehenden Gläsern. Dörthe konnte sogar schon wieder lachen, und Finn beugte sich vor und küsste sie auf den Mund.
    »Ich weiß nicht genau, was geschehen ist«, sagte Doktor Pik, der plötzlich neben ihr lag, »aber ich weiß, dass es etwas sehr Schlimmes gewesen sein muss. Du bist klug, Kim, allerdings auch sehr verletzlich. Da ist das Leben nicht immer einfach.«
    Kim nickte unmerklich. Es tat gut, Doktor Piks sonore Stimme zu hören. Die Sonne begann hinter den Baumwipfeln zu verglühen. Über ihnen sangen harmlos die Vögel.
    »Habe ich schon einmal erzählt, wie ich mich unsterblich verliebt habe?« Doktor Pik wartete ihre Antwort gar nicht ab. »Ich war noch jung, sah ziemlich gut aus und hatte gerade in meinem Zirkus angefangen. Plötzlich, als ich morgens zum Training in die Manege kam, stand sie da. Sie hieß Anna und sah dir ein wenig ähnlich, Kim. Ich habe mich auf der Stelle in sie verliebt. Wir sollten zusammen auftreten. Das war der Plan, doch Anna war zu verträumt. Sie verpasste ständig ihren Einsatz. Ich habe ihr geholfen, so gut ich konnte. Trotzdem klappte es nicht. Bei jedem Auftritt hatte ich Angst um sie. Wir waren Tag und Nacht zusammen, haben nachts nebeneinandergelegen und uns Geschichten erzählt. Sie roch so wunderbar, und ihre Haut – sie hatte eine Haut, die mich magisch angezogen hat. Ich war so froh, nicht mehr einsam zu sein.« Doktor Pik verstummte für einen Moment, in der Erinnerung versunken. »Eines Tages dann war sie verschwunden. Ich hatte allein trainiert, und als ich zurückkam, war sie nicht mehr da. Das letzte Bild, das ich von ihr habe, war, wie sie auf unserer winzigen Wiese stand. Es war Winter, und es schneite, große Flocken fielen vom Himmel, und sie stand da im Schneelicht und sah mir traurig nach, als wüsste sie, was ihr bevorstand.«
    »Flocken, die vom Himmel fielen, und Schneelicht?«, fragte Kim. »Was ist Schneelicht?«
    Doch Doktor Pik antwortete nicht. Er schluckte und fuhr fort: »Später bin ich darauf gekommen, dass meine Liebe sie vertrieben hat. Sie war guter Hoffnung, hätte Ferkel gekriegt, da hat mein Herr sie weggegeben. Ich war wieder allein und wäre am liebsten gestorben. Stattdessen habe ich abends meine Kunststücke aufgeführt, als wäre nichts geschehen. Vergessen habe ich Anna nie. Noch heute sehne ich mich jede Nacht nach ihr.« Doktor Pik seufzte. Er sah sie betrübt an. »Bist du dir sicher, dass Lunke etwas zugestoßen ist?«
    Sie nickte. »Er hat geblutet, konnte nicht mehr aufstehen …« Mit wenigen Worten beschrieb sie Doktor Pik, was an der Festung der Blutsauger vorgefallen war.
    »Vielleicht kann ein schönes, erfülltes Leben für uns doch nur in Träumen stattfinden«, sagte er, dann warf er ihr einen Blick zu, der eher traurig als aufmunternd war, und lief in den Stall.
    Auch Brunst gesellte sich für einen Moment zu ihr. Er kaute an einem langen Kanten Brot und baute sich vor ihr auf, als wollte er eine Rede halten. Den Kopf hielt er in die Höhe, wie Che es bei seinen Ansprachen immer tat. Doch er grummelte nur: »Lunke ist erst dann tot, wenn du ihn tot vor dir siehst.« Dann rülpste er laut und verschwand wieder.
    Merkwürdigerweise waren ihr diese Worte ein größerer

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