RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
quälende
Durst ihm wieder deutlich, daß diese Weite allmählich die Form eines
Gräberfelds annahm.
Sethos hielt die zwei Akazienzweige vor sich, die sich
gefügig auseinanderspreizen ließen. Betont langsam führte er sie durch die Luft
über dem sich breitenden Land. Plötzlich sprang ihm die Rute aus den Händen und
prallte etliche Ellen von ihm entfernt am Boden auf.
Hastig griff Ramses nach der Rute und gab sie dem
Vater zurück. Gemeinsam stiegen sie den Abhang hinunter. Sethos blieb vor einem
Häufchen flacher Steine stehen, zwischen denen stachelige Pflanzen wuchsen. Die
Rute schlug immer wieder aus.
»Hol Männer aus den Steinbrüchen, sie sollen hier
graben.«
Die Müdigkeit war verflogen. Ramses rannte atemlos
über das Geröll und kehrte mit etwa vierzig Männern zurück, die sich gleich an
die Arbeit machten.
Der Boden war locker. In sechs Ellen Tiefe sprudelte
frisches Wasser.
Einer der Arbeiter sank auf die Knie.
»Gott hat dem König die Richtung gewiesen. Hier fließt
so reichlich Wasser wie bei der Nilschwemme!«
»Mein Gebet wurde erhört«, sagte Sethos. »Von Bestand
sei die Wahrheit des göttlichen Lichts soll dieser Brunnen heißen. Sobald jeder
seinen Durst gelöscht hat, wollen wir eine Stadt für die Goldsucher und einen
Tempel als Wohnstatt der Götter bauen. In diesem Brunnen werden sie sich
verewigen und jenen, die zur Verherrlichung des Geheiligten hier nach dem
strahlenden Erz suchen, den Weg weisen.«
Unter der Anleitung von Sethos, dem guten Hirten, dem
Vater aller Menschen, dem Vertrauten der Götter, begannen gutgelaunte Soldaten,
sich als Baumeister zu bewähren.
EINUNDVIERZIG
tuja, die grosse königliche
gemahlin, waltete ihres Amtes als
Vorsitzende bei der Aufnahmeprüfung für junge Musikerinnen. Die jungen Frauen,
die den Hathor-Kult im Tempel von Memphis mitgestalten würden, waren aus allen
Provinzen des Landes angereist und hatten – ob sie nun sangen, tanzten oder ein
Instrument spielten – bereits eine Vorprüfung abgelegt.
Die Königin hatte die Bewerberinnen derartig
beeindruckt, daß viele von ihnen rundum versagten. Die gestrengen und wachen
Augen der Herrscherin, ihre ausgeprägten Wangenknochen, die schmale und gerade
Nase und das kleine eckige Kinn verliehen Tuja Schönheit und Autorität
zugleich. Ehrfurcht gebot auch ihre Raubvogelperücke, eine Weihe, das Sinnbild
der Mütterlichkeit. Tuja, die sich in ihrer Jugend der gleichen Prüfung
unterzogen hatte, ließ keinerlei Nachsicht walten, denn wer der Gottheit dienen
wollte, mußte vor allem über Selbstbeherrschung verfügen.
Schon die Beherrschung der Instrumente ließ zu
wünschen übrig. Sie würde die Lehrer in den Harims tadeln müssen, die in
letzter Zeit offenbar die Zügel schleifen ließen. Hervorragend war nur eine.
Diese junge Frau hatte ein ernstes, gesammeltes Gesicht von erstaunlicher
Schönheit, und wenn sie ihre Laute spielte, war sie so versunken, als wäre die
Außenwelt nicht mehr vorhanden.
In den Gärten des Tempels wurde allen Bewerberinnen,
mochten sie glücklich oder unglücklich sein, eine Erfrischung gereicht. Die
einen schluchzten, die anderen kicherten nervös. Sie waren alle noch so jung,
fast noch Kinder. Nur Nefertari, der die Altpriesterinnenschaft die Leitung der
Tempelmusikerinnen zu übertragen gedachte, schien so gelassen, als betreffe sie
diese Auszeichnung gar nicht.
Die Königin trat auf sie zu.
»Du warst glänzend.«
Die junge Lautenspielerin verneigte sich.
»Wie heißt du?«
»Nefertari.«
»Woher kommst du?«
»Ich bin in Theben geboren und habe meine Ausbildung
im Harim Mer-Our erhalten.«
»Dieser Erfolg scheint dir keine große Freude zu
bereiten.«
»Ich wollte nicht nach Memphis übersiedeln, sondern
nach Theben zurückkehren, um im Amun-Tempel zu dienen.«
»In der Abgeschiedenheit?«
»In den Amun-Kult eingeweiht zu werden ist mein
innigster Wunsch, aber ich bin noch zu jung.«
»Für ein Mädchen deines Alters ist das ungewöhnlich.
Bist du etwa vom Leben enttäuscht, Nefertari?«
»Nein, Majestät, aber die Rituale beglücken mich.«
»Möchtest du nicht heiraten und Kinder haben?«
»Daran habe ich noch nicht gedacht.«
»Das Leben im Tempel ist karg.«
»Ich hebe die steinernen Zeugen der Ewigkeit, ihre
Geheimnisse und die innere Sammlung, die sie fordern.«
»Würdest du dennoch bereit sein, ein Weilchen von
ihnen Abstand zu nehmen?«
Ohne Scheu sah Nefertari zur großen königlichen
Gemahlin auf. Tuja hatte
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