RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
nur schädlich.«
»In diesen letzten Wochen begann ich, mich daran zu
gewöhnen.«
»Brich nicht unnötig Streit vom Zaun, und zwinge mich
nicht, ein scharfes Urteil unseres Vaters herbeizuführen. Bereite unauffällig
deine Abreise vor, und verschwinde sang- und klanglos. In zwei oder drei Wochen
werde ich dir deinen Bestimmungsort nennen.«
»Und Ameni?«
»Ich sagte bereits, vergiß deinen elenden kleinen
Spitzel. Ich hasse es, mich zu wiederholen. Noch ein letztes: versuch nicht,
Iset, die Schöne, wiederzusehen. Du hast vergessen, daß sie die Besiegten
verachtet.«
ACHT
die audienzen der Königin Tuja waren anstrengend gewesen. In
Abwesenheit ihres Gemahls, der die Verteidigungslinien der nordöstlichen Grenze
inspizierte, hatte sie den Wesir, den Schatzmeister, zwei Provinzvorsteher und
einen Archivschreiber empfangen. So vieles war dringlich zu erledigen, wollte man
Fehlern vorbeugen.
Sethos mußte sich mehr und mehr dem Aufruhr in den
Gemeinwesen östlich der Grenzen und in Syrisch-Palästina widmen, die von den
Hethitern aufgestachelt wurden. Im allgemeinen genügte ein Besuch des Pharaos,
um die Zaunkönige, die auch mitreden wollten, zu beruhigen.
Tuja, Tochter eines Offiziers der Wagenmeisterei, war
weder königlichen Geblüts noch adeliger Abstammung, hatte sich aber bei Hofe
und im Volk aufgrund ihrer Fähigkeiten schnell durchgesetzt. Sie besaß eine
natürliche Eleganz. Ihr schlanker Körper, ihre großen, streng und durchdringend
blickenden mandelförmigen Augen, ihre schmale und gerade Nase, dies alles
verlieh ihr ein herrschaftliches Aussehen. Sie duldete keinerlei
Vertraulichkeit; wie ihrem Gemahl schuldete man auch ihr Respekt. Dem
ägyptischen Hof seinen Glanz zu bewahren war ihr Hauptanliegen.
Verantwortungsvoll nahm sie ihre Aufgaben wahr, denn davon hingen der Ruhm des
Landes und das Wohl des Volkes ab.
Der Gedanke, daß sie jetzt gleich Ramses, ihren
Lieblingssohn, sehen würde, ließ ihre Müdigkeit verfliegen. Obwohl sie ihn im
Palastgarten empfangen wollte, trug sie noch ihr langes Leinengewand mit der
Goldborte, den kurzen, über den Schultern gefältelten Überwurf, die
sechsreihige Amethysthalskette und die Perücke mit den Zöpfen, die gleichmäßig
herabfielen und alle gleich dick geflochten waren. Wie gern wandelte sie
zwischen diesen Akazien, Weiden und Granatapfelbäumen, zu deren Füßen
Kornblumen, Maßliebchen und Rittersporn wuchsen! Konnte man sich eine schönere göttliche
Schöpfung denken als einen Garten, wo alle pflanzlichen Geschöpfe über die
Jahreszeiten hinweg das Lob der Götter sangen? Jeden Morgen und jeden Abend
gönnte Tuja sich ein Weilchen Besinnung in diesem Paradies, bevor sie sich den
Pflichten ihres Amtes zuwandte.
Als Ramses auf sie zukam, stutzte die Königin. In
wenigen Monaten war aus ihm ein Mann von bemerkenswerter Schönheit geworden.
Bei seinem Anblick drängte sich eine Empfindung auf: Kraft. Gewiß, Gang und
Gehabe verrieten noch ein wenig den Jüngling, aber die Unbekümmertheit des
Kindes war verschwunden.
Ramses verneigte sich vor seiner Mutter.
»Gibt es eine Anstandsregel, die dir untersagt, mich
zu umarmen?«
Er drückte sie an sich. Wie zerbrechlich sie ihm
schien!
»Erinnerst du dich an die Sykomore, die du als
Dreijähriger pflanztest? Komm, bewundere sie, sie gedeiht prächtig.«
Tuja hatte sehr bald herausgefunden, daß es ihr nicht
gelingen würde, den dumpfen Zorn ihres Sohnes zu besänftigen. Dieser Garten, in
dem er Stunden mit der Pflege der Bäume verbracht hatte, war ihm fremd
geworden.
»Du hast Schweres durchgemacht.«
»Meinst du den wilden Stier oder die Einsamkeit des
vergangenen Sommers? Im Grunde ist das unerheblich, da Mut bei Ungerechtigkeit
nichts nützt.«
»Hast du Grund zur Klage?«
»Mein Freund Ameni wurde zu Unrecht bezichtigt, einem
Vorgesetzten nicht die gebührende Unterwürfigkeit bezeigt und ihm Schimpf
angetan zu haben. Aufgrund einer Verfügung meines Bruders wurde er seiner
Schreibertätigkeit enthoben und zu Schwerarbeit in den Stallungen verurteilt.
Dazu ist er nicht kräftig genug. Diese ungerechte Strafe wird ihn umbringen.«
»Das sind schwere Anschuldigungen, du weißt, daß ich
Geschwätz nicht schätze.«
»Ameni hat mich nicht belogen, er ist aufrichtig und
edel. Soll er sterben, weil er mein Freund ist und Chenars Hinterlist geweckt
hat?«
»Solltest du deinen älteren Bruder hassen?«
»Wir gehen uns aus dem Weg.«
»Er fürchtet dich.«
»Er hat mir
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