RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
Meißel in die Hand drückten, damit er es selbst
versuche, hieb er seinen ersten Stein mit einer solchen Geschicklichkeit
heraus, daß selbst die Grimmigsten verblüfft waren. Schon längst hatte der
Prinz sein vornehmes Leinengewand gegen einen derben Lederschurz vertauscht.
Weder die Hitze noch der Schweiß schienen ihn zu stören. Das Leben in den
Steinbrüchen gefiel ihm besser als das bei Hof. Unter diesen urwüchsigen
Kerlen, denen das Gestein redliche Arbeit abverlangte, fiel die Eitelkeit des
wohlhabenden Zöglings von ihm ab.
Sein Entschluß war gefaßt, hier wollte er bleiben, bei
den Männern im Steinbruch, er würde die Geheimnisse ihres Berufs erlernen und
ihr Leben teilen. Fern der Stadt und ihrem sinnlosen Gepränge würde er all
seine Kräfte aufbieten, um den Göttern die geeigneten Sandsteinblöcke
auszusuchen.
Das war die Botschaft, die sein Vater ihm übermitteln
wollte: er sollte die vergoldete Kindheit vergessen, diese gekünstelte
Erziehung, und statt dessen seine wahre Natur entdecken unter der
unbarmherzigen Sonne der Steinbrüche. Er hatte sich geirrt, als er glaubte, die
Begegnung mit dem wilden Stier eröffne ihm den Weg zum Königtum. Indem er ihm
seine wahren Fähigkeiten vor Augen führte, hatte Sethos ihm seine Illusionen
genommen.
Ramses verspürte nicht die geringste Lust auf ein
Leben als Würdenträger, nur auf Bequemlichkeit und Gewohnheiten ausgerichtet;
mit dieser Rolle würde sich Chenar weit besser anfreunden als er. Heiteren
Gemüts legte er sich auf das Schiffsdeck, betrachtete verträumt die Sterne und
schlief ein.
Eine seltsame Stille herrschte in dem Steinbruch, aus
dem tags zuvor zahlreiche Blöcke herausgeholt worden waren. Für gewöhnlich
machten sich die Männer bei Tagesanbruch ans Werk, um die morgendliche Kühle zu
nutzen. Doch wieso waren die Mannschaftsführer nirgends zu sehen, wieso hatten
sie ihre Leute nicht längst zusammengetrommelt?
Dem Zauber des Ortes verfallen, ging der Prinz durch
die von Sandsteinfelsen gesäumten Schneisen, in denen völlige Stille herrschte.
Sie waren bereits ein Teil von ihm. Kein anderer Horizont würde ihn mit solcher
Ruhe erfüllen, und die wollte er genießen, bis der lärmende Gesang der
Werkzeuge sie unterbrach.
Ramses schritt durch dieses Labyrinth und orientierte
sich an den geritzten Steinzeichen, die jedem Trupp sein Arbeitsgebiet
zuwiesen. Es drängte ihn, das königliche Gewand des Schreibers abzulegen, um in
Einklang mit seinen Gefährten zu leben, ihre Mühen und Freuden mit ihnen zu
teilen und für immer die Pose desadeligen Müßiggängers zu vergessen.
Am äußersten Ende des Steinbruchs entdeckte er einen
in den Fels gehauenen kleinen Tempel. Links vom Eingang, vor einer Stele mit
einer gemeißelten Huldigung für die aufgehende Sonne, stand Sethos. Mit
erhobenen Händen und geöffneten Handflächen zelebrierte er die Wiedergeburt des
Lichts, dessen erste Strahlen den Steinbruch zu erhellen begannen.
Ramses kniete nieder und lauschte den Worten seines
Vaters.
Als das Gebet beendet war, wandte sich Sethos seinem
Sohn zu.
»Was suchst du an diesem Ort?«
»Meinen Lebensweg.«
»Der Schöpfer vollbrachte vier vollkommene Taten«,
erklärte der Pharao. »Er gebar die vier Winde, damit jedes Wesen sein Leben
lang atmen könne. Er zeugte Wasser und Flut, damit der Arme wie der Mächtige
Nutzen daraus ziehe. Er schuf jeden Menschen als Abbild seines Nächsten. Und er
prägte dem menschlichen Herzen die Erinnerung an den Westen und das Jenseits
ein, damit dem Unsichtbaren geopfert werde. Aber die Menschen übertraten das
Gebot des Schöpfers und hatten nichts anderes im Sinn, als sein Werk zu
zerstören. Gehörst auch du zu dieser Meute?«
»Ich… ich habe einen Mann getötet.«
»Ist Zerstören der Sinn deines Lebens?«
»Ich habe mich verteidigt, eine Kraft lenkte mich!«
»In diesem Fall bekenne dich zu deiner Tat und jammere
nicht.«
»Ich will den wahren Schuldigen finden.«
»Verlier dich nicht in Grübeleien; bist du bereit, dem
Unsichtbaren zu opfern?«
Der Prinz nickte.
Sethos trat ins Innere des Tempels und trug, als er
herauskam, einen goldgelben Hund auf dem Arm. Der Prinz lächelte verklärt.
»Wächter!«
»Er ist doch dein Hund?«
»Ja, aber…«
»Nimm einen Stein, zertrümmere ihm den Kopf und opfere
ihn dem Geist dieses Steinbruchs; so wirst du gereinigt von deiner Gewalttätigkeit.«
Der Pharao ließ das Tier los, das auf seinen Herrn
zustürzte und das Wiedersehen mit
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