RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
gewesen.
»Meine liebe Iset! Welch eine Freude, dich zu sehen!
Möchtest du mein Feigenmus mit mir teilen? Es ist, ohne mich rühmen zu wollen,
das beste von ganz Memphis.«
»Wo hält sich Ramses verborgen?«
»Liebe, süße Freundin, wie sollte ich das wissen?«
»Kann ein zukünftiger König es sich gestatten, über so
etwas hinwegzusehen?«
Chenar lächelte gezwungen.
»Ich bewundere deinen Scharfsinn.«
»Sprich, ich bitte dich darum.«
»Nimm doch erst einmal Platz und koste dieses Mus. Du
wirst es nicht bereuen.«
Die junge Frau wählte einen bequemen Stuhl mit grünen
Kissen.
»Das Schicksal gewährt uns eine Ausnahmestellung.
Warum sollten wir diesen Vorzug nicht nutzen?«
»Ich verstehe nicht recht.«
»Wir verstehen uns doch blendend, meinst du nicht?
Anstatt dich mit meinem Bruder zu verbinden, solltest du etwas mehr nachdenken
und deine Zukunft im Blick behalten.«
»Woran denkst du dabei?«
»An ein Leben in Glanz, an meiner Seite.«
Iset musterte den älteren Sohn des Königs. Er gab sich
vornehm, war auf seine Wirkung bedacht, posierte und spielte bereits seine
zukünftige Rolle, doch die wilde Schönheit und die Anziehungskraft, die Ramses
eigen waren, würde er nie besitzen.
»Willst du wirklich wissen, wo mein Bruder sich
aufhält?«
»Das ist mein Wunsch.«
»Ich fürchte dich zu betrüben.«
»Diese Gefahr gehe ich ein.«
»Schenke mir Vertrauen, dann erspare ich dir eine
Enttäuschung.«
»Ich glaube mich stark genug, sie zu ertragen.«
Chenar schien verstimmt.
»Ramses wurde der Expedition in die Sandsteinbrüche am
Gebel Silsileh als Schreiber zugeteilt. Er soll einen Bericht verfassen und
genau Buch führen über die Arbeiten. Eine höchst unrühmliche Aufgabe, die ihn
zwingen wird, etliche Monate mit den Steinbrucharbeitern zu verbringen und sich
im Süden niederzulassen. Abermals hat mein Vater seine Menschenkenntnis
bewiesen. Er hat meinen Bruder auf den Platz verwiesen, der ihm zukommt. Und
wenn wir nun ein wenig von uns, von unserer gemeinsamen Zukunft sprächen?«
»Ich bin entsetzt, Chenar, ich…«
»Ich hatte dich gewarnt.«
Er erhob sich und faßte nach ihrer rechten Hand.
Diese Berührung ekelte die junge Frau. Gewiß, Ramses
war aus der ersten Reihe verbannt, und Chenar würde der absolute Herrscher
sein, gewiß. Von ihm geliebt zu werden bedeutete für die Auserwählte Ruhm und
Reichtum. Träumten nicht Dutzende junger Mädchen aus adeligem Hause von einer
Heirat mit dem Thronerben?
Unwirsch wandte sie sich ab.
»Laß mich!«
»Verspiel nicht dein Glück.«
»Ich liebe Ramses.«
»Was zählt schon die Liebe? Mir bedeutet sie nichts,
und du wirst ihn vergessen. Ich erwarte nichts weiter, als daß du schön bist,
mir einen Sohn schenkst und die Herrin Ägyptens bist. Dein Zögern wäre mehr als
unklug.«
»Dann halte mich ruhig für verrückt.«
»Geh nicht fort! Sonst…«
»Sonst?«
»Wie unsinnig, wenn wir Feinde würden. Ich appelliere
an deine Klugheit.«
»Lebewohl, Chenar; du gehst deinen Weg, der meine ist
vorgezeichnet.«
Memphis war eine lärmende und belebte Stadt. Im Hafen,
wo es stets geschäftig zuging, liefen Frachtschiffe aus Süd oder Nord ein. Auch
das Auslaufen war streng geregelt, die Abwicklung des Verkehrs auf dem Fluß
oblag einer eigenen Behörde, und die Fracht wurde überprüft von einem Heer von
Schreibern. In einem der zahlreichen Lagerhäuser lag das Schreibmaterial dazu
bereit, darunter Dutzende von Tintensteinen.
Ameni wies sich aus als rechte Hand des jüngeren
Sohnes des Pharaos und erhielt die Erlaubnis, sie zu begutachten. Er richtete
sein Augenmerk auf die erstklassigen und somit teuersten Stücke, doch seine
Nachforschungen blieben ergebnislos.
Schaulustige und Esel, hoch beladen mit Obst, Gemüse
und Getreidesäcken, ließen kaum Platz in den Gassen, doch Ameni gelang es, dank
seiner zierlichen und wendigen Statur, sich bis zum Viertel in der Nähe des
Ptah-Tempels, den Sethos vergrößert hatte, durchzuschlängeln. Der riesige Pylon
war von königlichen Kolossalstatuen aus rosafarbenem Granit flankiert. Sie
bezeugten die Gegenwärtigkeit des Göttlichen. Der junge Schreiber liebte die
alte, von Menes, dem Einiger Ober- und Unterägyptens, gegründete Hauptstadt.
Glich sie nicht einem Kelch, dem Schutz der Göttin des Goldes anvertraut? Wie
angenehm, all diese von Lotosblüten bedeckten Seen zu betrachten, allerorts den
Duft der üppigen Blumenpracht zu atmen. Wie erholsam, sich träge unter
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