RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
mir, ich bitte dich darum, ich bin nicht dein Feind.«
»Wenn das stimmt, hilf mir, die Untersuchung durchzuführen.
Der Wagenlenker, der mich in eine Falle gelockt hat, muß gefunden werden.«
»Du kannst auf mich zählen.«
Ameni wachte über sein Schreibwerkzeug mit peinlicher
Sorgfalt. Wassernapf und Pinsel säuberte er lieber zweimal, seine Palette
schabte er, bis die Oberfläche wirklich glatt war, Schaber und Gummi wechselte
er aus, sobald sie ihn nicht mehr zufriedenstellten. Trotz seiner bevorzugten
Stellung als rechte Hand eines königlichen Schreibers ging er sparsam mit dem
Papyrus um und benutzte für Entwürfe erst einmal Kalkstein. In einem alten
Schildkrötenpanzer mischte er Pigmente aus Mineralien, um ein leuchtendes Rot
und ein tiefes Schwarz zu erhalten.
Als Ramses endlich wiederauftauchte, war Ameni außer
sich vor Freude.
»Ich wußte, daß du wohlauf warst! Wenn nicht, hätte
ich es gespürt. Und ich habe meine Zeit nicht vergeudet. Du solltest stolz auf
mich sein.«
»Was hast du ausfindig gemacht?«
»Unsere Verwaltung ist vielschichtig, in zahlreiche
Abteilungen gegliedert, und die jeweiligen Vorsteher sind eher reizbar. Aber
dein Name und dein Amt haben mir doch so manche Tür geöffnet. Man liebt dich
vielleicht nicht, aber man fürchtet dich!«
Ramses’ Neugier war geweckt.
»Berichte genauer.«
»Die Tintensteine sind in unserem Land ein wichtiger
Rohstoff. Ohne sie gäbe es keine Schrift, und ohne Schrift keine Kultur.«
»Warum so schulmeisterlich?«
»Wie ich vermutet hatte, sind die Kontrollen sehr
streng. Kein Tintenstein verläßt das Lager, ohne geprüft worden zu sein. Steine
unterschiedlicher Qualität zu vermischen ist unmöglich.«
»Folglich…«
»Folglich haben wir es hier mit Machenschaften und
Betrug zu tun.«
»Ein Übermaß an Arbeit hat dir nicht etwa den Geist
verwirrt?«
Ameni schmollte wie ein Kind.
»Du nimmst mich nicht ernst!«
»Ich war gezwungen, einen Mann zu töten, andernfalls
hätte er mich umgebracht.«
Ramses erzählte von seiner schrecklichen Begegnung,
Ameni hielt den Kopf gesenkt.
»Du fandest mich lächerlich mit meinen Tintensteinen.
Dich haben die Götter beschützt! Sie werden dich niemals im Stich lassen.«
»Mögen die Götter dich erhören.«
Eine laue Nacht umfing die Schilfhütte, am Rande des
nahegelegenen Kanals quakten die Frösche. Ramses hatte beschlossen, die ganze
Nacht auf Iset, die Schöne, zu warten. Kam sie nicht, würde er sie nie mehr
wiedersehen. Abermals sah er das Bild vor sich, da er, um sein Leben zu
verteidigen, den Stallknecht gegen die Dornen der Dattelpalme gepreßt hatte.
Berechnung war nicht im Spiel gewesen, ein gebieterisches Feuer hatte sich
seiner bemächtigt und seine Kräfte vervielfacht. Entsprang es einer
geheimnisvollen Welt, war es Ausdruck der Macht des Gottes Seth, dessen Namen
sein Vater trug?
Bis heute hatte Ramses geglaubt, er allein bestimme
sein Leben, erkönne den Göttern und den Menschen trotzen und jeden
Kampf siegreich bestehen. Vergessen hatte er jedoch den Preis, der dafür zu
zahlen war, vergessen auch den Tod, den stets gegenwärtigen, dessen Handlanger
er in diesem Fall gewesen war. Ohne ein Gefühl von Reue fragte er sich, ob
dieser Vorfall seinen Träumen ein Ende setzte oder die Grenze zu einem
unbekannten Reich darstellte.
Ein streunender Hund bellte, jemand näherte sich.
War Ramses nicht erneut unvorsichtig gewesen? Solange
der Wagenlenker, der den Stallknecht bezahlt hatte, nicht gefunden war, befand
er sich in ständiger Gefahr. Vielleicht war er dem Prinzen gefolgt. Gewiß war
er bewaffnet, entschlossen, ihn an diesem einsamen Ort anzugreifen.
Ramses spürte die Gegenwart des Feindes. Er sah ihn
zwar nicht, wußte aber genau, in welcher Entfernung er sich befand. Jede seiner
Bewegungen hätte er beschreiben können, er wußte, welch ausladende Schritte er
lautlos zu machen vermochte. Sobald der Angreifer am Eingang der Hütte war,
stürzte der Prinz hinaus und warf ihn rücklings zu Boden.
»Wie gewalttätig, mein Prinz!«
»Iset! Wieso schleichst du heran wie eine Diebin?«
»Hast du unseren Pakt vergessen? Verschwiegenheit, vor
allem anderen.«
Sie schlang die Arme um ihren Geliebten, dessen
Begehren sie spürte.
»Bitte, bleibe so angriffslustig.«
»Hast du dich entschieden?«
»Ist meine Anwesenheit nicht die Antwort?«
»Wirst du Chenar wiedersehen?«
»Warum redest du unaufhörlich?«
Sie hatte nur einen weiten Umhang übergeworfen.
Darunter
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