RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
eine
Blätterlaube zu setzen und den Nil zu bewundern! Doch leider war dies nicht die
Stunde des Müßiggangs. Ameni beachtete die Waffenarsenale der verschiedenen
Truppenverbände nicht weiter und wurde an der Tür einer Werkstatt vorstellig,
wo Tintensteine für die besten Schulen der Stadt hergestellt wurden.
Er wurde äußerst kühl empfangen, doch da er sich auf
Ramses beziehen konnte, durfte er über die Schwelle treten und die Handwerker
befragen. Einer von ihnen, der bald in den Ruhestand gehen würde, erwies sich
als sehr hilfsbereit. Er beklagte selbst die Nachlässigkeit gewisser
Hersteller, die jedoch vom Palast ihre Zulassung erhalten hatten. Da Ameni
überzeugend wirkte, nannte er ihm eine Werkstatt im nördlichen Stadtviertel,
jenseits der alten Festung mit den weißen Mauern.
Der junge Schreiber mied die überfüllten Uferstraßen
und ging durch das Aankhtaoui-Viertel, »das Leben beider Länder«. Er lief an
einer der Kasernen entlang und kam in einen dichtbesiedelten Vorort, wo neben
großen Landhäusern kleine zweigeschossige Wohnbauten und Handwerkerläden sich
reihten. Obwohl er umherirrte, fand er schließlich dank der Liebenswürdigkeit
so mancher Hausfrau, die unter munterem Geplauder die Gasse fegte, zu jener
Werkstatt, die er sich ansehen wollte. Mochte er auch noch so müde sein, er
würde ganz Memphis auf den Kopf stellen, denn des Rätsels Lösung lag bestimmt,
davon war er überzeugt, am Ursprungsort der Tintensteinfertigung.
Auf der Schwelle stand ein struppiger Kerl von etwa vierzig
Jahren, der mit einem Stock bewaffnet war.
»Ich grüße dich, darf ich eintreten?«
»Verboten.«
»Ich bin der Vertraute eines königlichen Schreibers.«
»Zieh weiter, Kleiner.«
»Dieser königliche Schreiber heißt Ramses, Sohn des
Sethos.«
»Die Werkstatt ist geschlossen.«
»Ein Grund mehr, um mir die Besichtigung zu
gestatten.«
»Ich habe meine Befehle.«
»Durch etwas Zuvorkommen entgehst du einer amtlichen
Klage.«
»Hau ab.«
Ameni bedauerte seine schwächliche Konstitution.
Ramses hätte keinerlei Mühe gehabt, diesen Flegel hochzuheben und in einen
Kanal zu werfen. Da er aber nun mal keine Kraft besaß, mußte er eine List
anwenden.
Er grüßte den Wächter, ging zum Schein seines Weges,
schnappte sich aber in Wirklichkeit eine Leiter und kletterte damit auf das
Dach eines an der Rückseite der Werkstatt gelegenen Speichers. Als es Nacht
war, stieg er durch eine Dachluke ein. Er nahm eine Lampe und untersuchte den
Lagerbestand. Die erste Reihe Tintensteine enttäuschte ihn nicht, sie waren
makellos. Doch die zweite, die ebenfalls die Kennzeichnung »erstklassig« trug,
wies gewisse Abweichungen auf: die Steine waren kleiner als vorgeschrieben, von
unbestimmter Färbung und unzureichendem Gewicht. Eine Schriftprobe genügte, um
Ameni zu überzeugen: Er hatte den Ursprungsort des Betrugs entdeckt.
In seiner Freude merkte er nicht, wie der Wächter sich
heranschlich und ihn mit einem Stockhieb zu Boden streckte. Den leblosen Körper
warf er sich über die Schultern und legte ihn auf einer nahen Müllhalde ab, wo
sich der Unrat des ganzen Viertels türmte und in den ersten Morgenstunden
verbrannt werden würde.
Dieser Naseweis würde nicht mehr reden können.
VIERZEHN
der für die strassenreinigung zuständige Beamte ging langsamen
Schrittes durch die verschlafenen Gassen des nördlichen Stadtteils von Memphis,
sein schlaftrunkenes Töchterchen an der Hand. Noch vor Sonnenaufgang mußte er
die Müllhalden zwischen den Häuserblocks niederbrennen. Dieses tägliche
Verbrennen von Abfall und Unrat war ein kluges Verfahren. Es hielt die Stadt
sauber und entsprach den von der Verwaltung festgesetzten
Reinlichkeitsvorschriften. Eine eintönige, doch recht gut bezahlte Arbeit, die
zudem das Gefühl verlieh, den Mitmenschen nützlich zu sein.
Er kannte die zwei Familien am Ort, für die
Reinlichkeit ein Fremdwort war. Mehrfach hatte er ihnen einen Verweis erteilt,
doch nichts hatte sich geändert, jetzt würde er ihnen wohl eine Strafe
aufbrummen müssen. Der Mensch ist eben ein träges Tier, murrte er und hob die
Stoffpuppe auf, die das Töchterchen hatte fallen lassen. Er tröstete die
Kleine, sobald seine Arbeit beendet sei, würde er ihr ein schönes Frühstück
machen, und dann würden sie im Garten in der Nähe des Tempels der Göttin Neith
im Schatten einer Tamariske ein Schläfchen halten.
Zum Glück war der Müllberg nicht allzu groß. Damit
alles schnell
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