RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
nahm überhand, das königliche
Schiff konnte nicht mehr weiter. Sethos, Ramses und vier Seeleute bewaffneten
sich mit Lanzen, Bogen und Wurfhölzern und stiegen in eine leichte
Papyrusbarke. Der Pharao wies den Ruderern die Richtung.
Ramses fühlte sich in eine andere Welt versetzt, die
nichts gemeinsam hatte mit dem Tal. Hier war keine Spur menschlichen Wirkens zu
erkennen. Die mehr als vier Mann hohen Papyrusstauden verstellten manchmal
sogar den Blick auf die Sonne. Hätte er seine Haut nicht mit einer dicken
Schicht fetter Salbe eingerieben, wäre der Prinz aufgefressen worden von
Tausenden von Insekten, die hier herumschwärmten und einen ohrenbetäubenden
Lärm machten.
Nachdem es einen Wald von Wasserpflanzen hinter sich
gebracht hatte, glitt das Boot in eine Art See, in dessen Mitte zwei Inselchen
thronten.
»Die heiligen Städte Pe und Dep«, erklärte der Pharao.
»Städte?« fragte Ramses verwundert.
»Sie sind für die Seelen der Gerechten bestimmt. Ihr
Fürstentum ist die gesamte Natur. Als das Leben dem Urozean entsprang, nahm es
die Gestalt eines aus den Wassern emporsteigenden Erdhügels an. Diese zwei
heiligen Erdhügel, die in deinem Geist vereint ein einziges Land bilden, sind
Orte, wo die Götter sich gerne aufhalten.«
In Begleitung seines Vaters setzte Ramses seinen Fuß
auf den Boden der heiligen Städte und verharrte andächtig vor einem Heiligtum.
Es war eine einfache Schilfhütte, vor der ein Stab mit spiralenförmiger Spitze
in den Boden gerammt war.
»Dies ist das Sinnbild des Amtes«, erklärte der König;
»jeder muß das seine finden und es ausfüllen, bevor er sich um die eigene
Person kümmert. Das des Pharaos besteht darin, der erste Diener der Götter zu
sein. Allein auf sich selbst bedacht, wäre er nur ein Tyrann.«
Ringsum verspürte Ramses unzählige beunruhigende
Kräfte. Es war unmöglich, Frieden zu finden in diesem Chaos, wo man ständig in
wachsamer Spannung blieb. Nur Sethos schien gegen jede Erregung gefeit, als
beuge sich auch diese unentwirrbare Natur seinem Willen. Wäre da nicht diese
ruhige Gewißheit in seinem Blick, hätte Ramses mit Sicherheit angenommen, daß
sie niemals mehr herausfinden würden aus diesem riesenhaften Papyruswald.
Plötzlich weitete sich der Horizont, die Barke glitt
in grünliches Gewässer, das ein Ufer umspülte, auf dem Fischer lebten. Nackt
und struppig hausten sie in notdürftigen Hütten, arbeiteten mit Netz, Angel und
Reuse, schlitzten die Fische mit langen Messern auf, nahmen sie aus und ließen sie
in der Sonne trocknen. Zwei von ihnen trugen einen Nilbarsch, der so riesig
war, daß der Stab, an den sie ihn gebunden hatten, sich durchbog.
Vom unerwarteten Besuch überrascht, zeigten sich die
Fischer verängstigt und abweisend. Sie drängten sich aneinander und hielten
ihre Messer hoch.
Ramses trat vor. Feindselige Blicke trafen ihn.
»Verneigt euch vor dem Pharao.«
Die erhobenen Messer fielen zu Boden, und Sethos’
Untertanen sanken vor ihrem Herrscher nieder und luden ihn dann ein, ihr Mahl
zu teilen.
Die Fischer scherzten mit den Soldaten, und diese
schenkten ihnen zwei Krüge Bier. Als der Schlaf sie überkam, wandte Sethos sich
im Schein der Fackeln, deren Flammen Insekten und wilde Tiere fernhielten,
nochmals an seinen Sohn.
»Hier siehst du die Ärmsten der Armen, doch sie
erfüllen ihr Amt und bauen auf deine Hilfe. Der Pharao ist der, der den
Schwachen beisteht, die Witwen beschützt, die Waisen speist, den Bedürftigen
hilft. Er ist der tapfere Hirte, der Tag und Nacht wacht, der Schutzschild für
sein Volk. Derjenige, den Gott erwählt, damit er das höchste Amt erfüllt und
man von ihm sagen kann: ‹Keiner litt Hunger zu seiner Zeit.› Es gibt keine
edlere Aufgabe, mein Sohn, als Kavon Ägypten zu werden, Geber für das
ganze Land.«
Ramses blieb mehrere Wochen bei den Fischern und den
Papyrussammlern. Er lernte die zahlreichen Arten der eßbaren Fische kennen und
leichte Barken herzustellen, er entwickelte seinen Jagdinstinkt, verirrte sich
im Labyrinth der Kanäle und Sümpfe, fand ohne Hilfe wieder heraus und lauschte
dem Bericht der kraftstrotzenden Fischer, die nach stundenlangem Kampf riesige
Fische an Land gezogen hatten.
Trotz ihrer harten Lebensbedingungen wollten sie mit
niemandem tauschen. Das Leben der Talbewohner erschien ihnen farblos und fade.
Kurze Aufenthalte in diesem allzu kultivierten Landstrich genügten ihnen.
Sobald sie die Zärtlichkeit der Frauen genossen und sich an Fleisch
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