RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
Tod.«
»Glaubst du mich nicht geeignet für den Kampf?«
»Du bist nicht verpflichtet, dich Gefahren
auszusetzen.«
»Du hast mir eine Verantwortung übertragen, und die
werde ich auf mich nehmen.«
»Ist dein Leben nicht wertvoller?«
»Bestimmt nicht. Wer sein Wort bricht, verdient nicht
zu leben.«
»Dann also kämpfe, falls die Aufständischen sich nicht
ergeben. Kämpfe wie ein Stier, ein Löwe und ein Falke, schleudere Blitze wie
das Gewitter. Sonst wirst du besiegt werden.«
DREISSIG
mit bedauern verließ das Heer Buhen, um über den zweiten Katarakt
und aus dem Schutz des Festungsgürtels hinaus in die Provinz Kusch zu ziehen,
die zwar befriedet, aber von Nubiern bewohnt war, die man ihrer Tapferkeit
wegen rühmte. Bis zur Insel Sais, auf der sich die Festung Shaat erhob, wo der
Vizekönig zeitweilig residierte, dauerte die Reise nicht lange. Ein paar Meilen
flußabwärts hatte Ramses eine weitere Insel namens Amara entdeckt, deren wilde
Schönheit ihn betört hatte. Wenn das Schicksal gnädig mit ihm war, wollte er
seinen Vater bitten, dort eine Kultstätte zu Ehren der Pracht Nubiens zu
errichten.
In Shaat verstummten die sorglosen Gesänge. Die
Zitadelle, viel kleiner als Buhen, war voll mit Flüchtlingen aus der so reichen
Ebene von Irem, das in die Hände der Rebellen gefallen war. Siegestrunken und
unbehelligt vom Vizekönig, der ihnen nur ein paar Veteranen entgegengeschickt
hatte, die schnell auseinandergetrieben waren, hatten zwei Stämme den dritten
Katarakt überwunden und zogen nun gen Norden. Der alte Traum war aufs neue
erwacht: Kusch sollte zurückerobert, die Ägypter vertrieben und die Festungen
im Sturm eingenommen werden.
Shaat war diesem Ansturm als erste ausgesetzt.
Sethos ließ sofort Alarm blasen. Auf jeder Zinne hielt
sich ein Bogenschütze bereit, oben auf den Türmen standen Männer mit
Steinschleudern, und im Schütze der Gräben, verteilt rund um die hohen
Ziegelmauern, warteten die Fußtruppen.
Dann nahmen der Pharao und sein Sohn in Begleitung des
schweigsamen und niedergeschlagenen Vizekönigs den Festungskommandanten ins
Gebet.
»Die Nachrichten sind schauerlich«, bekannte dieser,
»seit einer Woche hat der Aufruhr unglaubliche Ausmaße angenommen. Für
gewöhnlich kommt es zu Scharmützeln zwischen den einzelnen Stämmen, aber nie zu
Bündnissen. Diesmal sind sie sich jedoch einig! Ich habe Botschaften nach Buhen
gesandt, aber…«
Die Anwesenheit des Vizekönigs hinderte den
Kommandanten, allzu harsch Kritik zu üben.
»Sprich weiter«, forderte Sethos.
»Wir hätten diesen Aufruhr im Keim ersticken können,
wenn wir rechtzeitig eingeschritten wären, aber inzwischen frage ich mich, ob
es nicht klüger wäre, sich zurückzuziehen.«
Ramses traute seinen Ohren nicht. Wie konnte dieser
Mann nur annehmen, die für die Sicherheit Ägyptens Verantwortlichen wären so
feige und ahnungslos?
»Sind diese Stämme so furchterregend?« fragte er.
»Es sind Wilde«, erwiderte der Kommandant. »Sie
fürchten weder Tod noch Leid. Kämpfen und Töten macht ihnen Vergnügen. Ich
würde es niemandem übelnehmen, wenn er flieht, sobald die schreiende Horde zum
Angriff ansetzt.«
»Fliehen? Das wäre doch Verrat!«
»Wenn du sie erst siehst, wirst du begreifen. Nur eine
zahlenmäßig weit überlegene Armee vermag sie im Zaum zu halten. Und inzwischen
wissen wir nicht einmal mehr, ob wir es mit einigen hundert oder Tausenden von
Feinden zu tun haben.«
»Bring die Flüchtlinge nach Buhen, und nimm den
Vizekönig mit«, befahl Sethos.
»Soll ich Verstärkung schicken?«
»Das werden wir noch sehen. Meine Boten werden dich
auf dem laufenden halten. Laß den Nil abriegeln, und erteile allen Festungen
Order, sich zu rüsten zur Abwehr eines Sturmangriffs.«
Der Vizekönig zog sich zurück. Er hatte Schlimmeres
befürchtet. Der Kommandant bereitete die Evakuierung vor, und zwei Stunden
später zog eine lange Kolonne in Richtung Norden. In Shaat verblieben nur der
Pharao, Ramses und tausend Soldaten, deren Kampfeslust schlagartig gesunken
war. Man munkelte, zehntausend blutrünstige Nubier würden über die Zitadelle
herfallen und die Ägypter bis zum letzten Mann aufreiben.
Sethos übertrug es Ramses, die Truppe aufzuklären, und
der junge Mann ließ es nicht dabei bewenden, die tatsächliche Lage zu schildern
und die Gerüchte zu zerstreuen, sondern appellierte an den Mut jedes einzelnen
und die Verpflichtung zum Schutz des Landes unter Einsatz des eigenen
Weitere Kostenlose Bücher