RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
ergehen werde.
Das Leben meinte es gut mit ihm, dachte Chenar bei
sich. Im Spiel um die Macht setzte er die Figuren so, daß er eigentlich nur
gewinnen konnte. Der Pharao verzehrte seine Kräfte, er war unermüdlich tätig.
Schon in naher Zukunft würde er nicht umhinkönnen, seinen älteren Sohn als
Regenten einzusetzen und ihm immer mehr Handlungsfreiheit zu gewähren.
Zurückhaltung üben, Geduld walten lassen und im Hintergrund die Fäden ziehen,
das waren die Schlüssel zum Erfolg.
Ameni rannte zur Hauptanlegestelle von Memphis. Mühsam
bahnte er sich einen Weg durch die Menschenmenge, die dichtgedrängt den
abziehenden Truppen Lebewohl winkte. Auf einer der letzten Abfallhalden hatte
er einen Hinweis entdeckt, der wichtig, vielleicht sogar entscheidend war.
Als Sekretär von Ramses durfte er die Absperrung
mißachten und erreichte schwer atmend den Kai.
»Wo ist das Schiff des Prinzen?«
»Ist gerade ausgelaufen«, entgegnete ein Offizier.
NEUNUNDZWANZIG
am vierundzwanzigsten tag des zweiten Monats der Winterzeit im achten
Regierungsjahr Sethos’ zog die ägyptische Flotte gen Süden. Sie kam recht
schnell voran. In Assuan ging man von Bord und schiffte sich jenseits der
Felsen am ersten Katarakt gleich wieder ein, obwohl der Wasserstand zu dieser
Zeit das Durchfahren der gefährlichen Engpässe gestattet hätte. Aber der Pharao
benutzte von hier ab lieber Schiffe, die für die Fahrt flußaufwärts gen Nubien
geeigneter waren.
Ramses war begeistert. Zum Heeresschreiber ernannt,
leitete er die Expedition unter dem Oberbefehl seines Vaters und fuhr mit ihm
auf dem gleichen mondsichelförmigen Schiff mit den hoch aus dem Wasser ragenden
Steven. Zwei Steuerruder, eines an Backbord, das andere an Steuerbord,
ermöglichten schnelles und wendiges Fahren. Ein starker Nordwind blähte das
riesige Segel an dem mächtigen Mast, dessen Taue von der Mannschaft regelmäßig
überprüft wurde.
Eine große Kajüte im Mittelschiff bot Räume zum
Schlafen und Arbeiten; die kleineren Kajüten, in der Nähe von Bug und Heck, waren
dem Kapitän und den beiden Steuermännern vorbehalten. An Bord des
Königsschiffes wie auch auf all den anderen Seglern der Kriegsflotte herrschte
fröhliche Betriebsamkeit. Seeleute und Soldaten hatten das Gefühl, eine
harmlose Ausflugsfahrt zu unternehmen, und auch keiner der Offiziere belehrte
sie eines Besseren. Sie alle hatten die Weisungen des Königs zur Kenntnis
genommen: Anstand wahren, die Bevölkerung nicht bedrohen, keinerlei
Zwangsverpflichtung, keine willkürlichen Festnahmen. Der Durchzug der Armee
sollte Furcht einflößen und Ehrfurcht wecken gegenüber der bestehenden Ordnung,
keinesfalls aber Angst vor Schreckensherrschaft oder Plünderung. Wer diesen
Ehrenkodex nicht beachtete, würde streng bestraft werden.
Nubien wirkte betörend auf Ramses. Während der ganzen
Fahrt stand er im Bug des Schiffes. Kahle Hügel, Granitinselchen, schmale
Grünstreifen, die der Wüste trotzten, glitten vorbei, überwölbt von einem
Himmel von leuchtendem Blau. Dieser Landstrich barg ein Feuer und besaß eine
Unbedingtheit, die seine Seele entzückten. Die Kühe auf den steilen Ufern
wirkten ebenso schläfrig wie die Nilpferde im Wasser. Kronenkraniche,
rosafarbene Flamingos und Schwalben flogen hoch über Palmen, in denen Paviane
spielten. Dieses urwüchsige Land hatte Ramses sofort für sich eingenommen. Es
entsprach seiner Natur, in ihm glühte das gleiche unbezähmbare Feuer.
Zwischen Assuan und dem zweiten Katarakt bot sich der
ägyptischen Flotte eine friedvolle Landschaft. Auf der Höhe stiller Dörfer
legten sie an und verteilten Nahrungsmittel und Hausgerät. Schon seit langem
war die Provinz Wawa befriedet. Glücklich, mit wachen Sinnen glaubte Ramses
einen Traum verwirklicht, so unmittelbar sprach dieses Land ihn an.
Er erwachte aus seinem Traum, als er ein unglaubliches
Bauwerk vor sich sah. Es war die gewaltige Festung Buhen mit ihren
zweiundzwanzig Ellen hohen und zehn Ellen dicken Ziegelmauern ; von den viereckigen Türmen aus, die
den zinnenbestückten Wehrgang unterbrachen, überwachten ägyptische Späher den
zweiten Katarakt und das Umland. Kein nubischer Einfall vermochte den
Festungsgürtel zu sprengen, und schon gar nicht Buhen, das ständig mit
dreitausend Soldaten besetzt war und durch ein Heer von Boten mit Ägypten
Verbindung hielt.
Sethos und Ramses betraten die Festung durch das auf
die Wüste blickende Haupttor. Eine Holzbrücke führte zum zweiten
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