RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
Schritte, und er war nur mehr zwei Ellen von dem
verwundeten Tier entfernt.
Der Prinz hob die Arme, der Riese senkte den Rüssel.
»Ich werde dir weh tun«, erklärte Ramses, »aber das
ist unumgänglich.«
Ramses packte den Schaft des Spießes.
»Bist du einverstanden?«
Die großen Ohren peitschten die Luft, als wollte der
Elefant sein Einverständnis kundtun.
Der Prinz zog mit aller Kraft, und mit einem Ruck
hatte er den Spieß tatsächlich heraus; der Riese brüllte erleichtert. Die
sprachlosen Aufklärer glaubten an ein Wunder, aber Ramses würde dennoch nicht
überleben, da das blutige Rüsselende sich bereits um seine Taille schlang.
Eine Weile nur, und er würde zermalmt sein. Dann wären
sie an der Reihe, und da flohen sie doch lieber gleich.
»Schaut her, aber schaut doch bloß!«
Die fröhliche Stimme des Prinzen rief sie zurück. Sie
wandten sich um und sahen, daß er bereits hoch oben auf dem Kopf des Riesen
saß, wo der Rüssel ihn ganz behutsam abgesetzt hatte.
»Von diesem Berg aus werde ich jede Bewegung des
Feindes erkennen können«, rief Ramses.
Die Heldentat des Prinzen begeisterte das Heer, und
einige sprachen Ramses übernatürliche Kräfte zu, nachdem er sich das mächtigste
aller Tiere gefügig gemacht hatte. Die Wunde des Tiers wurde regelmäßig mit Öl
und Honig betupft, und Ramses und der Elefant hatten keine Schwierigkeiten,
sich zu verständigen: der eine benutzte Zunge und Hände, der andere Rüssel und
Ohren. Unter dem Schutz des Riesen, der ihnen eine Spur bahnte, gelangten die
Soldaten in ein Dorf mit Hütten aus getrocknetem Schlamm und Palmdächern.
Die Leichen von Greisen, Kindern und Frauen lagen dort
verstreut, die einen waren aufgeschlitzt, den anderen war die Kehle
durchgeschnitten worden. Die verstümmelten Körper der Männer, die Widerstand
geleistet hatten, lagen etwas weiter entfernt. Die Ernte war verbrannt worden,
das Vieh geschlachtet.
Ramses drehte sich der Magen um.
So sah also der Krieg aus, dieses Gemetzel, diese
grenzenlose Grausamkeit, der Mensch wütete ja schlimmer als das gefährlichste
Raubtier.
»Trinkt nicht aus dem Brunnen!« rief ein älterer
Soldat.
Zwei junge Männer hatten bereits ihren Durst gelöscht.
Kurz darauf starben sie an dem Feuer, das in ihrem Leib entbrannte. Die
Aufständischen hatten den Brunnen vergiftet, um die Dorfbewohner, die Ägypten
treu bleiben wollten, zu strafen.
»Solche Vergiftungen kann ich nicht behandeln«,
beklagte Setaou, »über Pflanzengifte muß ich mich erst noch kundig machen. Zum
Glück habe ich Lotos, sie wird es mir beibringen.«
»Was machst du überhaupt hier?« fragte Ramses
verwundert. »Solltest du nicht die Festung hüten?«
»Das war mir viel zu langweilig. Diese Natur ist
überreich, ist üppig!«
»Wie zum Beispiel dieses gemordete Dorf?«
Setaou legte dem Freund die Hand auf die Schulter.
»Verstehst du jetzt, warum mir die Schlangen lieber
sind? Ihre Weise zu töten ist edler, und außerdem liefern sie uns noch wirksame
Arzneien gegen Krankheiten.«
»Der Mensch ist aber doch auch nicht nur ein solches
Scheusal.«
»Bist du dir da so sicher?«
»Es gibt die Maat, und es gibt das Chaos. Wir kamen
auf die Welt, damit die Maat regiere und das Böse besiegt werde, auch wenn es
immer von neuem hochsteigt.«
»So denkt ein Pharao, du aber bist nur ein Kriegsherr,
der sich anschickt, Schlächter zu schlachten.«
»Oder unter ihren Schlägen zu fallen.«
»Zieh nicht den bösen Blick auf dich, und trinke
lieber diesen Kräutertee, den Lotos zubereitet hat. Er wird dich unbesiegbar
machen.«
Sethos blickte düster drein.
Er hatte Ramses und die höheren Offiziere in sein Zelt
befohlen.
»Was schlagt ihr vor?«
»Noch weiter vorzudringen«, riet ein Veteran, »über
den dritten Katarakt hinaus bis nach Irem. Unsere Schnelligkeit wird unser
Vorteil sein.«
»Wir könnten in eine Falle geraten«, gab ein junger
Offizier zu bedenken, »weil die Nubier wissen, daß wir gern so verfahren.«
»Das stimmt«, bestätigte der Pharao. »Um nicht in
einen Hinterhalt zu geraten, müssen wir zuerst die feindlichen Stellungen
ausmachen. Ich brauche Freiwillige, Nachtkundschafter.«
»Das ist sehr gewagt«, bemerkte der Veteran.
»Das ist mir bewußt.« Ramses erhob sich. »Ich melde
mich freiwillig.«
»Ich auch«, erklärte der Veteran, »und ich habe drei
Kameraden, die genauso mutig sind wie der Prinz.«
EINUNDDREISSIG
der prinz nahm seine Kappe ab, sein ledernes Wams,
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