Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
freizugeben. Bis es vollkommen rein war, mußte der Vorgang allerdings mehrmals wiederholt werden.
Die ägyptischen Wachsoldaten waren sehr zahlreich und gut bewaffnet. Ein kleiner Einsatztrupp hätte keinerlei Aussicht, sie zu überwältigen. Also mußte Chenar einen Aufstand großen Ausmaßes anzetteln, an dem sich Hunderte von Kriegern aus verschiedenen Stämmen beteiligten.
Deshalb suchte Chenar, dem Rat seines nubischen Führers folgend, im Lande Irem den Häuptling eines Stammes auf, einen hochgewachsenen, von vielen Narben gezeichneten Neger. Der lud ihn zwar in eine geräumige Hütte mitten in seinem Dorf ein, bereitete ihm jedoch einen eisigen Empfang.
«Du bist Ägypter.»
«Ja, das bin ich, aber ich verabscheue Ramses.»
«Ich verabscheue alle Pharaonen, die mein Land unterdrücken. Wer schickt dich zu mir?»
«Mächtige Feinde von Ramses, die im Norden von Ägypten wohnen. Wenn wir ihnen helfen, werden sie den Pharao besiegen und dir dein Land wiedergeben.»
«Wenn wir uns gegen ihn erheben, werden uns die Soldaten des Pharaos niedermetzeln.»
«Dein Stamm allein wird nicht ausreichen, darin stimme ich dir zu. Deshalb ist es unerläßlich, Bündnisse zu schließen.»
«Bündnisse, das ist schwierig, sehr schwierig… Man muß sich versammeln und lange Palaver abhalten, sehr lange, Monde um Monde.»
Geduld war die Tugend, an der es Chenar am meisten mangelte. Doch er unterdrückte seine aufkeimende Wut und schwor sich, Beharrlichkeit walten zu lassen, wie lange diese Verhandlungen auch währen mochten.
«Bist du bereit, mir zu helfen?» fragte er den Häuptling.
«Ich muß hierbleiben, in meinem Dorf. Für ein erfolgreiches Palaver müßte ich mich ins nächste Dorf begeben. Und das ist weit entfernt.»
Der kretische Söldner reichte Chenar eine Silberstange.
«Mit diesem Schatz», sagte der Ägypter, «könntest du deinen Stamm viele Monate lang ernähren. Wer mir hilft, den entlohne ich.»
Der Nubier brach in Entzücken aus.
«Gibst du mir das, wenn ich ein Palaver abhalte?»
«Und falls du Erfolg hast, gebe ich dir noch mehr.»
«Es wird aber lange dauern, sehr lange…»
«Beginnen wir damit, sobald die Sonne sich erhebt.»
Wieder nach Pi-Ramses zurückgekehrt, dachte Iset die Schöne oft an die Schilfhütte, in der ihre Liebe zu Ramses Zuflucht gefunden hatte, ehe er Nefertari begegnete. Eine Zeitlang hatte sie gehofft, den Mann zu heiraten, von dem sie immer noch besessen war, aber wie hätte sie in Wettstreit mit dieser erhabenen Frau treten können, die er zur Großen königlichen Gemahlin gemacht hatte?
Zuweilen, wenn ihr Liebeskummer übermächtig wurde, unterließ Iset die Schöne es, sich zu schminken, trug alte Kleider und vergaß sogar, sich mit einem Duftöl einzureiben.
Aber die Zuneigung, die sie für Kha und Merenptah empfand, für die beiden Söhne, zu deren Mutter der König sie gemacht hatte, und für Merit-Amun, die Tochter von Ramses und Nefertari, verhalf ihr dazu, die Traurigkeit zu überwinden, indem sie an das künftige Schicksal dieser drei Kinder dachte: Merenptah, ein schöner, robuster Knabe, dessen Klugheit bereits erwacht war, Merit-Amun, ein hübsches, nachdenkliches Mädchen mit bemerkenswerter musikalischer Begabung, und Kha, ein angehender Gelehrter mit überragenden Fähigkeiten. Diese drei Kinder waren ihre ganze Hoffnung, ihre Zukunft.
Da brachte ihr Hausverwalter eine vierreihige Halskette aus Amethysten und Karneolen, silberne Ohrringe und ein farbenprächtiges, mit Goldfäden besticktes Kleid. Ihm auf dem Fuße folgte Dolente, Ramses’ Schwester.
«Du siehst müde aus, Iset.»
«Eine vorübergehende Mattigkeit. Aber… für wen sind diese wundervollen Dinge?»
«Gestattest du mir, dir diese bescheidenen Gaben zum Geschenk zu machen?»
«Ich bin sehr gerührt und weiß nicht, wie ich dir dafür danken soll.»
Die hochgewachsene, dunkelhaarige Frau, so beruhigend und fürsorglich, hatte beschlossen, zum Angriff überzugehen.
«Empfindest du dein Leben nicht wie eine schwere Bürde, meine liebe Iset?»
«Nein, gewiß nicht, zumal mir das Glück zuteil geworden ist, die Kinder Ramses’ des Großen zu erziehen.»
«Weshalb gibst du dich mit einem Dasein ohne Glanz zufrieden?»
«Ich liebe den König, ich liebe seine Kinder. Haben mir die Götter nicht ungetrübte Freude beschert?»
«Die Götter… die Götter sind nur ein schöner Schein, Iset.»
«Was sagst du da?»
«Es gibt nur einen Gott, den, dem Echnaton gehuldigt hat und
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