Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
den auch Moses und die Hebräer anbeten. Zu Ihm müssen wir streben.»
«Gehe du deinen Weg, Dolente, das ist nicht der meine.»
Ramses’ Schwester begriff, daß es ihr nicht gelingen würde, Iset die Schöne zu bekehren. Sie war zu leichtfertig und zu kleinmütig. Doch es gab ein anderes Feld, auf das Dolente sich mit einiger Hoffnung auf Erfolg vorwagen konnte.
«Daß dir nur der Rang der zweiten Gemahlin beschieden ist, erscheint mir ungerecht.»
«Ich denke nicht so darüber, Dolente. Nefertari ist schöner und klüger als ich. Keine Frau würde je an sie heranreichen.»
«Das stimmt nicht. Obendrein haftet ein widerwärtiger Makel an ihr.»
«Welcher?»
«Nefertari liebt Ramses nicht.»
«Wie wagst du es zu unterstellen…»
«Ich unterstelle nicht, ich weiß es. Dir ist nicht unbekannt, daß ich meine Zeit am liebsten damit zubringe, den Leuten am Hof zu lauschen und ihnen Vertraulichkeiten zu entlocken.
Deshalb kann ich dir versichern, daß Nefertari sich verstellt und heimtückisch ist. Was war sie denn, ehe sie Ramses kennenlernte? Eine kleine Priesterin ohne Zukunft, eine mittelmäßige Musikantin, allein dazu befähigt, in einem Tempel den Göttern zu dienen… Da fiel Ramses’ Blick auf sie. Und dann vollzog sich ein wahres Wunder, ein tiefgreifender Wandel, denn aus dem scheuen Mädchen wurde eine vom Ehrgeiz zerfressene Frau.»
«Vergib mir, Dolente, aber darin kann ich dir nicht beipflichten.»
«Kennst du den wahren Grund für die Reise nach Nubien?
Nefertari hat verlangt, daß ihr zu Ehren ein riesiger Tempel erbaut werde, der ihren Namen unsterblich machen soll.
Ramses hat sich gefügt und eine Baustätte eröffnet. Sie wird viele Jahre lang wahre Reichtümer verschlingen. Doch dabei sind Nefertaris Absichten ans Licht gekommen: den Platz des Königs einzunehmen und allein über das Land zu herrschen.
Um diese Tollheit zu vereiteln, sind alle Mittel recht.»
«Du gehst doch nicht so weit, zu denken, daß…»
«Ich wiederhole es: alle Mittel. Und nur ein einziger Mensch vermag Ramses zu retten: du, Iset.»
Die junge Frau war erschüttert. Gewiß, sie mißtraute Dolente, nur, brachte die Schwester des Pharaos nicht beunruhigende Überlegungen vor? Dabei schien Nefertari so aufrichtig…
Aber zog die Ausübung der Macht nicht unüberwindliche Eitelkeit nach sich? Plötzlich bekam das Bild einer liebenden Nefertari, die Ramses verehrte, Sprünge. Könnte einer Ränkeschmiedin denn Schöneres gegönnt sein, als ausgerechnet den Herrn der Beiden Länder zu betören!
«Wozu rätst du mir, Dolente?»
«Ramses ist getäuscht worden. Er hätte dich heiraten sollen, du bist die Mutter seines erstgeborenen Sohnes, den der Hof bereits als Nachfolger erachtet. Wenn du den König liebst, wenn du Ägypten liebst und sein Glück willst, gibt es nur eine Möglichkeit: Entledige dich Nefertaris!»
Iset die Schöne schloß die Augen.
«Dolente, das ist unmöglich!»
«Ich werde dir helfen.»
«Ein Mord ist etwas Abscheuliches und führt dazu, daß man den Verstand, die Seele und den Namen verliert… Ein Anschlag auf die Große Königsgemahlin hat ewige Verdammnis zur Folge.»
«Wer würde es denn erfahren? Sobald du dich dazu entschlossen hast, mußt du insgeheim handeln und darfst keine Spuren hinterlassen.»
«Ist das der Wille deines Gottes, Dolente?»
«Nefertari ist eine durch und durch verdorbene Frau, sie besudelt Ramses’ Herz und verleitet ihn dazu, grobe Fehler zu begehen. Wir beide haben die Pflicht, gemeinsam zu vereiteln, daß sie weiteren Schaden anrichtet. Nur so dienen wir dem König wirklich treu.»
«Ich muß darüber nachdenken.»
«Was wäre verständlicher? Ich schätze dich sehr, Iset, und ich weiß, daß du die richtige Entscheidung treffen wirst. Wie sie auch ausfallen mag, meine Zuneigung ist dir gewiß.»
Iset die Schöne lächelte so kläglich, daß Dolente, ehe sie wegging, sie auf beide Wangen küßte.
Ramses’ zweite Gemahlin vermeinte zu ersticken.
Schleppenden Schrittes trat sie an das Fenster, von dem sie auf einen der Gärten des Palastes blicken konnte, doch auch das helle Licht vertrieb ihr Ungemach nicht.
In ihr stieg ein Gebet an die verborgenen Mächte des Himmels auf, an jene Mächte, die über das Schicksal der Menschen entschieden, über die Dauer ihres Lebens und über die Stunde ihres Todes. Durfte sie, Iset, an deren Stelle handeln und Nefertaris Erdentage abkürzen, weil die Große königliche Gemahlin Ramses schadete?
Eine
Weitere Kostenlose Bücher