Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
verflucht, und die Pharaonen mögen samt ihrem Königreich für immer untergehen!»
Chenars Traum war zerronnen. Er, der nunmehr über ein riesiges Reich herrschen müßte, das sich von Hatti bis Nubien erstreckte, fand sich entwürdigt wieder, ein Ausgestoßener im eigenen Land. Ramses hätte bei Kadesch geschlagen werden sollen, dann wären die Hethiter in Ägypten eingefallen, Chenar hätte den Pharaonenthron bestiegen, zum Schein mit den Eroberern zusammengearbeitet und sich danach des hethitischen Königs entledigt, um der alleinige Herr über Ägypten und die Ostländer zu werden. Ramses, der Schiffbrüchige, und Chenar, der Retter! Das wäre die Wahrheit gewesen, die er den Völkern hätte bringen sollen.
Er wandte sich an Ofir, der im hintersten Winkel des Grabes saß.
«Weshalb sind wir gescheitert?»
«Eine Pechsträhne. Das Blatt wird sich wenden.»
«Das ist eine dürftige Antwort, Ofir.»
«Wiewohl die Magie eine genau zu berechnende Wissenschaft ist, vermag sie Unvorhergesehenes nicht auszuschließen.»
«Und dieses Unvorhergesehene war Ramses selbst!»
«Dein Bruder verfügt über außerordentliche Begabungen sowie über eine Widerstandsfähigkeit, wie sie nur selten anzutreffen und überaus beeindruckend ist.»
«Beeindruckend… Solltest du dich etwa auch von diesem Tyrannen in seinen Bann ziehen lassen?»
«Ich gebe mich damit zufrieden, ihn genau zu beobachten, damit ich ihn leichter auslöschen kann. Ist ihm in der Schlacht bei Kadesch nicht der Gott Amun zu Hilfe gekommen?»
«Schenkst du diesem törichten Geschwätz etwa Glauben?»
«Die Welt besteht nicht nur aus Sichtbarem. Geheime Mächte durchströmen sie und formen das, was wir als Wirklichkeit wahrnehmen.»
Chenar hieb mit der Faust gegen eine Wand, auf der Aton als Sonnenscheibe dargestellt war.
«Wohin haben uns deine Reden geführt? Hierher, in dieses Grab, fernab der Macht! Wir sind allein und dazu verdammt, wie Elende zugrunde zu gehen.»
«Das stimmt nicht ganz, denn die Anhänger Atons bringen uns Speis und Trank und gewährleisten unsere Sicherheit.»
«Die Anhänger Atons… eine Horde Verrückter, besessen von ihrem Glauben, Gefangene ihrer eigenen Wunschbilder!»
«Da hast du nicht unrecht, aber sie sind uns nützlich.»
« Gedenkst du, aus ihnen eine Armee zu machen, die das Heer von Ramses bezwingen kann?»
Ofir zeichnete sonderbare geometrische Figuren in den Staub.
«Ramses hat die Hethiter besiegt», fuhr Chenar beharrlich fort, «dein Netz von Kundschaftern ist zerschlagen, und ich habe keinen einzigen Anhänger mehr. Was harrt denn noch meiner, außer hier zu vermodern?»
«Die Magie wird uns helfen, das zu ändern.»
«Es ist dir nicht gelungen, Nefertari zu beseitigen, und du warst nicht fähig, Ramses zu schwächen.»
«Du bist ungerecht», wandte der Magier ein. «Die Königin hat den Anschlag, den ich auf sie verübt habe, nicht unbeschadet überstanden.»
«Iset die Schöne wird Ramses noch einen Sohn schenken, und der König wird so viele Erben an Kindes Statt annehmen, wie er nur will. Keinerlei familiäre Unbill wird meinen Bruder am Regieren hindern.»
«Er wird Tief schläge erleiden, die ihn aufzehren.»
«Ist dir nicht bekannt, daß sich die Kräfte eines ägyptischen Pharaos nach dreißig Jahren Herrschaft erneuern?»
«Soweit sind wir noch nicht, Chenar. Die Hethiter haben dem Kampf nicht abgeschworen.»
«Ist das Bündnis, das sie eingegangen sind, nicht bei Kadesch aufgelöst worden?»
«König Muwatalli ist ein listenreicher Mann, der Vorsicht walten läßt. Er verstand es, im richtigen Augenblick den Rückzug anzutreten, und er wird einen für Ramses überraschenden Gegenangriff einleiten.»
«Mir ist die Lust zum Träumen vergangen, Ofir.»
Aus der Ferne ertönte der Hufschlag galoppierender Pferde.
Chenar wappnete sich mit einem Schwert.
«Das ist nicht die Zeit, zu der uns die Anhänger Atons etwas zu essen bringen.»
Ramses’ Bruder eilte zum Eingang des Grabes, von wo aus er die tote Stadt und die Ebene überblicken konnte.
«Es sind zwei Männer.»
«Kommen sie auf uns zu?»
«Sie haben die Stadt hinter sich gelassen und reiten auf die Felsen zu… in unsere Richtung! Wir gehen besser hinaus und verstecken uns an einem anderen Ort.»
«Keine übertriebene Hast, es sind ja nur zwei!»
Ofir erhob sich.
«Vielleicht ist es das Zeichen, auf das ich gewartet habe, Chenar. Sieh doch genau hin!»
Der Bruder des Pharaos erkannte einen Anhänger Atons; dessen
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