Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
zu gelangen. Dolente verstand es damals, lauthals ihre Freude zu beteuern, daß sie dem Schlimmsten entronnen und wieder mit ihrer Familie vereint war.
Glaubte Ramses diese Darstellung der Ereignisse wirklich?
Jedenfalls hatte er angeordnet, sie müsse am Hof von Pi-Ramses bleiben. Genau das hatte sie sich erhofft, um Ofir auf dem laufenden halten zu können, sobald sich dazu die Gelegenheit bot. Da der König zur Zeit in den Schutzgebieten des Nordens abermals Krieg führte, hatte sie ihn weder wiedersehen noch erreichen können, daß er ihr von neuem Vertrauen schenkte.
So scheute Dolente keine Mühe, um Nefertari hinters Licht zu führen, von der sie wußte, wieviel Einfluß sie auf ihren Gemahl ausübte. Als die Königin aus dem Audienzsaal trat, in dem sie sich mit den Aufsehern über die Kanäle beraten hatte, verneigte sich Dolente vor der Herrscherin.
«Majestät, gestatte mir, mich um Iset zu kümmern.»
«Was möchtest du denn tun, Dolente?»
«Ihre Dienerschaft beaufsichtigen, jeden Tag ihr Gemach reinigen, die Mutter und das Kind mit einem aus der Rinde und dem Milchsaft des Seifenbaums gewonnenen Mittel waschen, jeden Gegenstand, den sie benutzt, mit einer Mischung aus Asche und Natron säubern… Ich habe schon ein Kästchen für sie vorbereitet, das kleine Töpfe mit Schminke, Tiegel mit köstlichen Duftölen sowie Kohol und Pinsel zum Auftragen enthält. Iset soll doch schön bleiben, nicht wahr?»
«Sie wird deine Aufmerksamkeit zu schätzen wissen.»
«Wenn es ihr genehm ist, werde ich sie selbst schminken.»
Nefertari und Dolente schritten durch einen mit Lilien, Kornblumen und Mandragoren ausgemalten Flur.
«Wie es heißt, soll das Neugeborene prächtig sein.»
«Merenptah wird ein kräftiger Mann werden.»
«Gestern wollte ich mit Kha und Merit-Amun spielen, aber man hat es mir verwehrt. Ich war darüber sehr betrübt, Majestät.»
«Das haben Ramses und ich befohlen, Dolente.»
«Wie lange wird man sich noch vor mir in acht nehmen?»
«Verwundert dich das? Du hast dich auf diesen Magier eingelassen, du hast Chenar unterstützt…»
«Habe ich nicht mein gerüttelt Maß an Unglück erdulden müssen, Majestät? Mein Gemahl wurde von Moses getötet, dieser fluchbeladene Magier hätte mich beinahe um den Verstand gebracht, Chenar hat mich stets verabscheut und gedemütigt, und dennoch werde ich angeklagt! Ich sehne mich nur noch nach Ruhe und würde so gern die Zuneigung und das Vertrauen der Meinen wiedererlangen… Ich habe schwere Fehler begangen, das gebe ich ja zu, aber wird man mich bis in alle Ewigkeit für eine Verbrecherin halten?»
«Hast du dich nicht an einer Verschwörung gegen den Pharao beteiligt?»
Dolente sank vor der Königin auf die Knie.
«Ich war die Sklavin übelgesinnter Männer und stand unter ihrem Einfluß. Aber das ist jetzt vorüber. Ich möchte alleine leben, im Palast, wie Ramses es verlangt, und die Vergangenheit vergessen… Wird man mir je vergeben?»
Nefertari war erschüttert.
«Kümmere dich um Iset, Dolente! Hilf ihr, ihre Schönheit zu bewahren.»
Meba, der Stellvertreter des Obersten Gesandten, suchte Ameni in seiner Amtsstube auf. Nur auf seine Laufbahn bedacht und Erbe einer überaus wohlhabenden Familie, die seit Generationen Botschafter hervorbrachte, war Meba von Natur aus hoheitsvoll und herablassend. Entstammte er nicht einer Gesellschaftsschicht ersten Ranges, die über Macht und Reichtum verfügte und es ihm verbot, sich mit Leuten niederen Standes abzugeben? Dennoch war Meba auf eine harte Probe gestellt worden, als Chenar, der ältere Bruder des Königs, ihn aus dem Amt für die Beziehungen zu den Fremdländern verdrängt hatte und selbst dessen Vorsteher geworden war.
Gedemütigt und abgeschoben, hatte Meba schon geglaubt, er würde nie mehr eine bedeutende Rolle spielen, bis zu jenem Tag, da ein in Ägypten ansässiger Spion der Hethiter mit ihm in Verbindung getreten war.
Er sollte Verrat üben… Meba hatte keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Mit wiedergewonnener Freude an undurchsichtigen Machenschaften und einer Begabung für Winkelzüge hatte er sich wieder das Vertrauen der Obrigkeit und neue Ämter erschlichen. Obgleich er einst Achas Vorgesetzter gewesen war, erweckte er nun den Anschein, ihm treu ergeben zu sein. Trotz seines scharfen Verstandes hatte sich der junge Oberste Gesandte von Mebas geheuchelter Bescheidenheit täuschen lassen. Einen erfahrenen Mann als Mitstreiter zu haben, und noch dazu einen
Weitere Kostenlose Bücher