Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
Andere deinen Namen und dein Aussehen, vergiß die unsinnigen Pläne und nimm wieder den Platz ein, der dir gebührt. Dann wirst du in Frieden alt werden, geehrt und frei von Sorgen, als Oberhaupt einer großen Familie.»
«Das ist mir nicht bestimmt, Aaron.»
«Schlage dir deine Wahnvorstellungen aus dem Kopf!»
«Daran vermag ich nichts mehr zu ändern.»
«Weshalb verdirbst du dir auf diese Weise das Leben, wenn das Glück doch zum Greifen nahe liegt?»
Da klopfte es an die Tür von Aarons Haus.
«Im Namen des Pharaos, aufmachen!»
Moses lächelte.
«Siehst du, Aaron, man läßt mir gar keine Wahl.»
«Du mußt fliehen.»
«Diese Tür ist der einzige Ausgang.»
«Ich werde dich verteidigen.»
«Nein, Aaron.»
Moses öffnete selbst die Tür.
Serramanna, der sardische Riese, blickte den Hebräer ungläubig an.
«Man hat mich also nicht belogen… Du bist tatsächlich zurückgekehrt.»
«Möchtest du hereinkommen und unser Mahl mit uns teilen?»
«Ein Hebräer hat dich verraten, Moses, ein Ziegelmacher, der befürchtete, daß er seine Arbeit verlieren würde, weil du dich wieder in diesem Viertel aufhältst. Folge mir, ich muß dich ins Gefängnis bringen.»
Da trat Aaron dazwischen.
«Moses hat ein Recht darauf, vor ein Gericht gestellt zu werden.»
«Das wird er auch.»
«Falls du dich nicht vorher seiner entledigst.»
Serramanna packte Aaron am Kragen seines Gewandes.
«Willst du mich einen Mörder heißen?»
«Es steht dir nicht zu, mich zu mißhandeln.»
Der Sarde ließ Aaron los.
«Das stimmt… Aber steht es dir zu, mich zu beleidigen?»
«Wenn man Moses festnimmt, wird man ihn umbringen.»
«Die Gesetze gelten für alle, auch für die Hebräer.»
«Fliehe, Moses, gehe wieder in die Wüste!» flehte Aaron.
«Du weißt genau, daß wir gemeinsam dorthin aufbrechen werden.»
«Du wirst dieses Gefängnis nicht mehr lebend verlassen.»
«Gott wird mir beistehen.»
«Komm jetzt!» forderte Serramanna ihn auf. «Und zwinge mich nicht dazu, dir die Hände zu binden.»
In einer Ecke der Zelle sitzend, betrachtete Moses den Lichtstrahl, der zwischen den Gitterstäben einfiel. Er ließ Tausende in der Luft schwebende Staubkörnchen flimmern und zeichnete einen hellen Fleck auf den Lehmboden, den die Füße Gefangener festgestampft hatten.
In Moses würde für alle Zeit das Feuer des brennenden Dornbusches lodern, ihn mit der Kraft erfüllen, die von dem Berg ausging, auf dem Jahwe ihm erschienen war. Vergessen seine Vergangenheit, vergessen Frau und Sohn: Für ihn zählte fortan nur noch der Auszug aus Ägypten, der Aufbruch der Hebräer ins Gelobte Land.
Eine wahnwitzige Hoffnung für einen Mann, der in einer Zelle des großen Gefängnisses von Pi-Ramses eingeschlossen war und den die ägyptische Gerichtsbarkeit für einen einst begangenen Mord zum Tode oder, im günstigsten Fall, zur Zwangsarbeit in den Oasen verurteilen würde. Trotz des Vertrauens, das er in Jahwe setzte, beschlichen Moses zuweilen Zweifel. Auf welche Weise würde Gott ihn befreien und es ihm möglich machen, seine Aufgabe zu erfüllen?
Als der Hebräer gerade im Begriff war einzuschlafen, riß ihn in der Ferne vernehmbares Geschrei aus seinem Dämmerzustand. Es schwoll nach und nach immer lauter an, bis es ohrenbetäubend wurde. Es hörte sich an, als sei die ganze Stadt in Aufruhr.
Ramses der Große war wieder da!
Niemand hatte ihn so früh erwartet, man rechnete erst in einigen Monaten mit seiner Rückkehr, doch er war es tatsächlich: strahlend, mit der blauen Krone auf dem Haupt, über der Stirn die goldene Uräusschlange und in ein rituelles Gewand gehüllt, auf dem blaugrüne Falkenschwingen aufgemalt waren, die ihn unter den Schutz der Göttin Isis stellten. Prächtig war er anzusehen auf seinem Streitwagen, den «Sieg in Theben» und «Göttin Mut ist zufrieden» zogen, seine zwei Pferde, deren Köpfe rote Federn mit blauen Spitzen schmückten. Rechts vom Streitwagen schritt Schlächter, der riesige Löwe, einher und betrachtete die längs des Weges versammelten Bewohner der Stadt.
Wie aus einer Kehle stimmten die Fußsoldaten das inzwischen schon altbekannte Lied an: «Ramses’ Arm ist kraftvoll, sein Herz tapfer, er ist ein Bogenschütze ohnegleichen, ein Schutzwall für seine Soldaten, eine Flamme, die seine Feinde verschlingt.»
Heerführer, Offiziere der Wagenkämpfer wie der Fußtruppen, Schreiber der Armee und einfache Soldaten: sie alle hatten ihre Prunkgewänder angelegt, um hinter den
Weitere Kostenlose Bücher