Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
hatten.
Während einige Männer des Trupps das Haupttor der Stadt öffneten, um den Fußsoldaten des Regiments Re Einlaß zu verschaffen, eilte Setaou in die Gemächer Benteschinas. Als ihm zwei Krieger den Weg versperrten, ließ er Vipern frei, die überaus gereizt waren, weil sie so lange in einem Sack gesteckt hatten.
Beim Anblick der Schlange, mit der Setaou ihn bedrohte, begann Benteschina vor Angst zu geifern.
« Laß Acha frei oder du bist des Todes!»
Der Fürst zauderte nicht lange. Zitternd und keuchend wie ein außer Atem geratener Ochse, machte er selbst die Tür zu dem Gemach auf, in dem Acha eingeschlossen war.
Überwältigt von der Freude, seinen Freund bei guter Gesundheit zu sehen, unterlief Setaou ein Mißgeschick, denn bei einer unglücklichen Handbewegung entglitt die Viper seinem festen Griff und stürzte sich auf Benteschina.
NEUN
VON SCHLANKEM WUCHS, mit edler und gerader Nase, großen, mandelförmigen Augen, die streng und durchdringend blickten, und mit einem nahezu kantigen Kinn war Tuja, die Mutter des Königs, die allmählich an die fünfzig Jahre zählte, immer noch die Hüterin der Tradition und der hehren Gesinnung im Land am Nil. Sie stand zahllosen Bediensteten vor, erteilte Ratschläge, ohne zu befehlen, wachte jedoch darüber, daß die alten Werte in Ehren gehalten wurden, unter deren Einfluß sich das ägyptische Königtum zu einer festgefügten Staatsform entwickelt hatte, zu einem Bindeglied zwischen dem Sichtbaren und dem Verborgenen.
Tuja, die in amtlichen Schriften «die Mutter des Gottes, die den mächtigen Stier Ramses zur Welt gebracht hat» genannt wurde, lebte in der Erinnerung an ihren verstorbenen Gemahl, Pharao Sethos. Gemeinsam hatten sie ein starkes Ägypten aufgebaut, das sorgenfrei lebte, und nun oblag es ihrem Sohn, das Land auf dem Pfad des Wohlstands zu halten. Ramses besaß die gleiche Kraft wie sein Vater, den gleichen Glauben an seine große Aufgabe, und nichts bedeutete ihm mehr als das Glück seines Volkes.
Um Ägypten vor dem Einfall feindlicher Horden zu bewahren, hatte er sich auf den Krieg gegen die Hethiter einlassen müssen. Eine Entscheidung, die Tuja billigte, denn Zugeständnisse an das Böse führten unweigerlich ins Verderben. Ihm blieb keine andere Wahl, als zu kämpfen.
Doch die Kämpfe dauerten schon lange, und Ramses ging unablässig Wagnisse ein. Tuja betete, daß die Seele des zu einem Stern gewordenen Sethos den Pharao beschützen möge.
Mit ihrer Rechten umfaßte sie den Handgriff eines Spiegels. Er war wie ein Papyrusstengel geformt, was in der Hieroglyphenschrift «grün, blühend und jung» besagte. Wurde der kostbare Gegenstand in ein Grab gelegt, bescherte er der Toten, die in ihm ruhte, ewige Jugend. Tuja wandte die Bronzescheibe dem Himmel zu und bat den Spiegel, ihr die Geheimnisse der Zukunft zu enthüllen.
«Darf ich dich stören?»
Bedächtig drehte die Mutter des Königs sich um.
«Nefertari…»
In ihrem langen, weißen Kleid, das ein roter Gürtel in der Taille zusammenhielt, glich die schöne Große Königsgemahlin einer jener Göttinnen, die in den Häusern für die Ewigkeit im Tal der Könige und im Tal der Königinnen die Wände zierten.
«Nefertari, bringst du mir frohe Kunde?»
«Ramses hat Acha befreit und die Provinz Amurru wieder eingenommen. Berytos ist Ägypten von neuem Untertan.»
Die beiden Frauen umarmten einander.
«Wann kehrt er zurück?»
«Das weiß ich nicht», antwortete Nefertari.
Während sie ihr Gespräch fortsetzten, nahm Tuja wieder vor ihrem Schminktisch Platz. Mit den Fingerspitzen verrieb sie auf ihrem Gesicht eine Salbe, die hauptsächlich aus Honig, rotem Natron, Alabasterstaub, Eselsmilch und Samen des Bockshornklees bestand. Das Mittel glättete Falten und straffte und verjüngte die Haut.
«Du scheinst beunruhigt zu sein, Nefertari.»
«Ich fürchte, daß Ramses beschließen könnte, noch weiter vorzudringen.»
«Gen Norden, nach Kadesch…»
«Vielleicht gerät er in eine neue Falle, die ihm Muwatalli stellt. Lockt der hethitische König unsere Armee nicht in einen Hinterhalt, wenn er Ramses mehr oder minder mühelos die Gebiete zurückerobern läßt, die schon vordem zu unserem Einflußbereich gehört hatten?»
Die Stammesführer waren in dem geräumigen, aus getrockneten Lehmziegeln erbauten Haus Aarons versammelt.
Allen Hebräern hatten sie Stillschweigen auferlegt, denn es ging um die Sicherheit von Moses, dessen Rückkehr den ägyptischen Ordnungskräften
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