Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
ausfindig zu machen. Und, um ehrlich zu sein, er ist davon überzeugt, daß das Spionagenetz der Hethiter noch nicht völlig zerschlagen ist.»
Der Grimm des Herrschers verebbte.
«Und welcher Meinung bist du, Ameni?»
«Chenar ist tot, seine Mitverschwörer befinden sich auf der Flucht und sind nicht mehr imstande, Schaden anzurichten.
Aber Serramanna vertraut nur auf seine innere Stimme.»
«Vielleicht hat er nicht unrecht, Ameni. Die innere Stimme ist eine Klugheit, die aus dem Herzen kommt. Sie reicht über den Verstand hinaus, der uns bisweilen in die Irre führt oder in falscher Zuversicht wiegt. Mein Vater wußte seine innere Stimme in Eingebungen zu verwandeln und sie mit schöpferischer Geisteskraft zu nutzen.»
« Sethos war kein Seeräuber!»
«Serramanna entstammt den Gefilden der Finsternis, er ist mit ihren Tücken vertraut. Nicht auf ihn zu hören wäre ein Fehler. Nimm so schnell wie möglich Verbindung zu ihm auf und weise ihn an, nach Pi-Ramses zurückzukehren.»
«Ich werde Boten aussenden.»
«Und überbringe dem Wesir meine Bitte: Ich möchte Moses sehen.»
«Aber… er ist noch im Gefängnis!»
«Die Gerichtsverhandlung hat stattgefunden, die Tatsachen sind bekannt, diese Unterredung wird den Lauf der Gerechtigkeit nicht mehr beeinflussen.»
Ein heftiger Wind fegte über die Ebene, in der die Sonnenstadt einst eilends erbaut worden war, doch nun beleidigten ihre Ruinen das Auge. Während Serramanna durch eine Straße ritt, brach eine Mauer in sich zusammen. Obgleich er schon oft der Angst getrotzt hatte, fühlte er sich dennoch unbehaglich. Bedrohliche Schatten huschten durch diese Paläste und die verlassenen Häuser. Ehe er die Dorfbewohner befragte, wollte der Sarde die Wahrheit über diese Stätte ergründen, sich ihren Spukgestalten stellen und ermessen, welche Schrecknisse sich unter der Sonnenscheibe Atons zugetragen haben mochten.
Als der Abend nahte, begab er sich in den nächstgelegenen Weiler, um sich zu stärken und einige Stunden zu schlafen, bevor er seine Nachforschungen aufnahm. Das Dorf mutete verwaist an: kein Esel, keine Gans, kein Hund. Manche Haustüren standen offen. Für alle Fälle zog der Sarde sein kurzes Schwert aus der Scheide. Die Vorsicht hätte ihm wohl geraten, sich nicht allein an einen solchen Ort zu wagen, an dem überall Gefahr lauerte, doch er verließ sich auf seine Erfahrung und auf seine Kraft.
Auf dem gestampften Lehmboden einer ärmlichen Behausung hockte eine alte Frau, den Kopf auf die Knie gestützt, in Trauerhaltung.
«Töte mich, wenn du willst», sagte sie mit brüchiger Stimme.
«Hier gibt es nichts zu stehlen.»
«Sei ohne Sorge, ich gehöre der Leibwache des Pharaos an.»
«Geh fort, Fremdling. Dieses Dorf ist tot, mein Mann ist tot, und ich sehne mich nur noch danach, auch zu sterben.»
«Wer war dein Mann?»
«Ein rechtschaffener Mensch, dem die Leute nachsagten, er sei ein Zauberer gewesen. Er, der sein ganzes Leben lang nur anderen geholfen hat… Zum Dank dafür hat ihn dieser fluchbeladene Magier umgebracht.»
Serramanna setzte sich neben die Witwe, deren Kleid schmutzig und deren Haar staubbedeckt war.
«Beschreibe mir diesen Magier.»
«Wozu?»
«Weil ich diesen Übeltäter suche.»
Verwundert blickte die Frau den Sarden an.
«Machst du dich über mich lustig?»
«Sehe ich so aus, als würde ich scherzen?»
«Du kommst zu spät, mein Mann ist schon tot.»
«Ich kann ihn nicht zu neuem Leben erwecken, das ist Sache der Götter, aber ich werde diesen Magier fassen.»
«Er ist ein hochgewachsener Mann, hager, mit einem Gesicht wie ein Raubvogel und mit kalten Augen.»
«Wie heißt er?»
«Ofir.»
«Ist er Ägypter?»
«Nein, Libyer.»
«Woher weißt du diese Einzelheiten?»
«Er kam mehrere Monate lang zu uns, um mit dem Mädchen zu reden, das wir an Kindes Statt angenommen hatten, mit unserer Lita. Arme Kleine… Sie hatte Wahnvorstellungen und meinte, von der Familie des Ketzerkönigs abzustammen. Mein Mann und ich haben versucht, sie zur Vernunft zu bringen, aber sie hat dem Magier mehr geglaubt. Eines Nachts ist sie verschwunden, und wir haben sie nie wiedergesehen.»
Serramanna zeigte der Witwe das Bildnis der jungen blonden Frau, die Ofir ermordet hatte.
«Ist sie das?»
«Ja, das ist meine Tochter Lita… Ist sie…»
Es widerstrebte dem Sarden, die Wahrheit zu verhehlen, deshalb nickte er.
«Wann hast du Ofir zum letzten Mal gesehen?»
«Erst vor wenigen Tagen, als er meinen kranken Mann
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