Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
besuchte. Dieser Ofir hat ihm eine todbringende Arznei zu trinken gegeben.»
«Versteckt er sich hier in dieser Gegend?»
«In den Felsengräbern, in denen die Dämonen umgehen…
Schneide ihm die Kehle durch, tritt seinen Leichnam mit Füßen und verbrenne ihn!»
«Du solltest von hier fortziehen, Frau. Es ist nicht gut, mit den Schatten der Vergangenheit zu leben.»
Serramanna verließ das baufällige Haus, schwang sich auf den Rücken seines Pferdes und trieb es in gestrecktem Galopp zu den Begräbnisstätten. Der Tag ging allmählich zur Neige.
Am Fuße des Abhangs ließ der Sarde sein Reittier zurück und stürmte mit dem Schwert in der Hand hinauf. Dadurch würde er sich zwar um den Vorteil eines Überraschungsangriffs bringen, doch er zog es vor, ohne Aufschub zuzuschlagen. Der Vorsteher der Leibwache des Pharaos entschied sich für die Gräber mit den größten Eingängen und erforschte eins nach dem anderen.
Überall herrschte gähnende Leere. Die einzigen Bewohner dieser aufgegebenen Grüfte waren die in die Wände gemeißelten Gestalten, die letzten Überlebenden einer vergangenen Zeit.
Mit einer Fingerfertigkeit, die ihren Vater erstaunte, spielte Merit-Amun, Ramses’ und Nefertaris Tochter, auf der Harfe.
Der König und die Große Königsgemahlin saßen am Ufer eines Weihers, in dem blauer Lotos blühte, Hand in Hand auf niedrigen Faltstühlen und genossen einen Augenblick des Glücks. Nicht nur, daß das erst achtjährige Mädchen sein Instrument bereits meisterlich beherrschte, ließ es auch schon überraschende Empfindsamkeit erkennen. Selbst Schlächter, der riesige Löwe, und Wächter, der goldgelbe Hund, der zwischen den Vorderpranken der Raubkatze lag, schienen von der Melodie, die Merit-Amun spielte, angetan.
Als die letzten Töne sacht verklangen, hallten sie noch leise nach.
Da schloß der König seine Tochter in die Arme.
«Bist du zufrieden, Vater?»
«Du bist eine sehr begabte Musikantin, aber du mußt noch viel lernen.»
«Mutter hat mir versprochen, daß ich in den Tempel der Hathor aufgenommen werde und man mich dort wunderbare Dinge lehren wird.»
«Wenn das dein Wunsch ist, sei er dir gewährt.»
Die Schönheit des Mädchens war ebenso strahlend wie die Nefertaris. In ihrem Blick lag das gleiche Leuchten.
«Wenn ich Musikantin im Tempel bin, kommst du mich dann besuchen?»
«Glaubst du denn, ich könnte auf deine Melodien verzichten?»
Kha trat zu ihnen und machte ein mürrisches Gesicht.
«Du siehst verstimmt aus», stellte die Königin fest.
«Man hat mir etwas gestohlen.»
«Bist du dir dessen sicher?»
«Ich räume jeden Abend meine Sachen auf. Man hat mir eine meiner alten Binsen gestohlen, mit der ich gern geschrieben habe.»
«Hast du sie nicht nur irgendwo verlegt?»
«Nein, ich habe überall gesucht.»
Ramses faßte seinen Sohn an den Schultern.
«Du erhebst eine schwere Anschuldigung.»
«Ich weiß, daß man seiner Zunge nicht leichtfertig freien Lauf lassen darf. Deshalb habe ich es mir auch lange überlegt, ehe ich mich beklage.»
«Wen verdächtigst du?»
«Bis jetzt noch niemanden, aber ich werde darüber nachdenken. Diese Binse habe ich besonders gemocht.»
«Du besitzt noch andere.»
«Das schon, aber diese fehlt mir eben.»
Der Löwe hob den Kopf, und die Ohren des Hundes stellten sich auf. Es kam jemand.
Dolente erschien mit unbekümmerter Miene. Sie trug eine ausladende Perücke mit langen Zöpfen und ein grünes Kleid, das ihr gut zu Gesicht stand.
«Deine Majestät wünschte mich zu sprechen?»
«Dein Verhalten bei der Gerichtsverhandlung gegen Moses hat Aufsehen erregt», erklärte Ramses.
«Ich habe nur die Wahrheit gesagt.»
«Es erforderte einigen Mut, deinen Gemahl mit so klaren Worten zu beschreiben.»
«Im Angesicht der Maat und des Wesirs lügt man nicht.»
«Deine Aussage hat Moses sehr geholfen.»
«Ich habe nur meine Pflicht getan.»
Der Mundschenk des Palastes brachte jungen Wein, und die Unterhaltung drehte sich um die Mühen, die den beiden Kindern noch bevorstanden, ehe sie zur Weisheit gelangten.
Als Dolente den Garten verließ, war sie davon überzeugt, daß sie das Vertrauen des Königs wiedergewonnen hatte. Die ehedem aufgesetzte Freundlichkeit, aus der sie noch Argwohn herausgespürt hatte, war echter Zuneigung gewichen.
Sie schickte ihre Sänftenträger fort, denn sie zog es vor, sich noch ein wenig zu ergehen und dann zu Fuß zu ihren Gemächern zurückzukehren.
Wer hätte in dem bescheidenen
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