Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
denn?»
«Die Welt um uns herum verändert sich. Wir haben Ägypten nicht unterworfen, und mancher Bundesgenosse könnte schneller die Seiten wechseln, als ich es für möglich halte.»
«Ich verstehe kein Wort! Ich bin zum Kämpfen geboren und nicht dazu, irgendwelche Ränke zu schmieden.»
«Du ziehst übereilte und unzutreffende Schlüsse, mein Sohn.
Wenn wir die Oberherrschaft im ganzen Vorderen Orient antreten wollen, müssen wir damit beginnen, unsere Zerwürfnisse im Inneren zu überwinden. Dahin führt nur ein heilsamer und unerläßlicher Weg: deine Aussöhnung mit Hattuschili.»
Uriteschup schlug mit der Faust gegen eine der Säulen.
«Niemals! Niemals werde ich dazu bereit sein, mich vor diesem Schwächling zu erniedrigen!»
«Beenden wir unsere Zwietracht, dann werden wir stärker sein.»
«Schließe deinen Bruder und seine Gemahlin in einen Tempel ein und erteile mir den Auftrag, Ägypten anzugreifen: das ist der heilsame Weg.»
«Lehnst du jede Form der Aussöhnung ab?»
«Ja.»
«Ist das dein letztes Wort?»
«Wenn du Hattuschili fallenläßt, werde ich dir eine treue Stütze sein. Ich und die Armee.»
«Schachert ein Sohn mit der Liebe, die er seinem Vater entgegenbringt?»
«Du bist viel mehr als ein Vater, du bist der König von Hatti.
Nur das Wohl unseres Landes darf unsere Entscheidungen bestimmen. Meine Auffassung ist richtig, das wirst du letzten Endes einsehen.»
Der König wirkte müde.
«Vielleicht hast du ja recht… Ich muß darüber nachdenken.»
Während er den Audienzsaal verließ, war Uriteschup sicher, seinen Vater überzeugt zu haben. Schon bald würde dem alternden König keine andere Wahl mehr bleiben, als ihm unbeschränkte Vollmachten zu erteilen, ehe er den Thron an ihn abtrat.
Puducheba, Hattuschilis Gemahlin, die ein rotes Kleid, Sandalen aus Leder, eine goldene Halskette und silberne Armreife trug, verbrannte im unterirdischen Saal des Tempels der Göttin Ischtar Weihrauchkörner. Zu dieser späten Nachtstunde herrschte auf dem Burgberg Stille.
Doch da kamen zwei Männer die Treppe herunter.
Hattuschili, von kleinem Wuchs, das Haar mit einem Band zusammengehalten, in ein dickes Gewand aus mehrfarbigem Stoff gehüllt und mit einem Schmuckreif am linken Oberarm, ging dem König voraus.
«Wie kalt es ist», klagte Muwatalli und zog seinen wollenen Mantel enger um sich.
«Dieser Raum ist wirklich nicht angenehm», räumte Hattuschili ein, «aber er bietet den Vorteil, daß man hier vollkommen ungestört ist.»
«Möchtest du Platz nehmen, Majestät?» fragte Puducheba.
«Diese steinerne Bank genügt mir. Trotz seiner langen Reise scheint mein Bruder weniger müde zu sein als ich. Hast du Neuigkeiten in Erfahrung gebracht, Hattuschili?»
«Ich fürchte um unser Bündnis. Manche, die uns Treue gelobt haben, geraten allem Anschein nach in Versuchung, ihre Pflichten zu vergessen. Sie stellen immer höhere Ansprüche, aber es ist mir gelungen, sie zu befriedigen. Du mußt dir allerdings darüber im klaren sein, daß dieses Bündnis allmählich sehr kostspielig wird. Dennoch gibt es etwas, was mir größere Sorgen bereitet.»
«Rede, ich bitte dich.»
«Die Assyrer werden gefährlich.»
«Dieses kleine Volk?»
«Es meint nun, wegen unserer jüngsten Niederlagen und unserer Streitigkeiten drohe uns der Verfall.»
«Wir könnten sie innerhalb weniger Tage zermalmen!»
«Das glaube ich nicht. Und wäre es weise, unsere Kräfte in einer Zeit zu zersplittern, da Ramses sich anschickt, Kadesch anzugreifen?»
«Weißt du Genaueres?»
«Unseren Kundschaftern zufolge ist die Armee des Pharaos im Begriff, einen erneuten Vorstoß zu unternehmen. Und dieses Mal werden Kanaanäer und Beduinen dem König von Ägypten keinen Widerstand leisten. Dann ist morgen der Weg nach Hatti frei. Es wäre eine Torheit, eine zweite Front gegen die Assyrer zu eröffnen.»
«Wozu rätst du, Hattuschili?»
«Wir müssen vordringlich unsere Einheit im Inneren wiederherstellen. Der Zwist zwischen deinem Sohn und mir dauert schon zu lange, und er schwächt uns. Ich bin bereit, mich mit ihm zu treffen, um ihm den Ernst der Lage begreiflich zu machen. Wenn wir uns weiterhin befehden, bedeutet das unseren Untergang.»
«Uriteschup lehnt jedwede Aussöhnung ab und fordert die Befehlsgewalt über alle Truppen.»
«Um mit gesenkten Hörnern gegen Ägypten anzurennen und sie sich abzustoßen.»
«Seiner Meinung nach ist das unmittelbare
Aufeinanderprallen beider Armeen unser einziger
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