Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
entreißen, unterbunden, indem er die allzu Ehrgeizigen aus dem Weg räumte, doch die jüngsten Ereignisse hatten seine Stellung geschwächt.
Zwei Männer gierten nach dem Thron: sein von Heerführern und Offizieren unterstützter Sohn, Uriteschup, und Hattuschili, der Bruder des Königs, der als gewandter Unterhändler ein mächtiges Bündnis gegen Ägypten zuwege gebracht hatte. Ein Bündnis, das Muwatalli aufrechtzuerhalten gedachte, indem er seinen Bundesgenossen Unmengen kostspieliger Geschenke machte.
Muwatalli hatte soeben einen halben Tag in der beruhigenden Gesellschaft einer bezaubernden jungen Frau zugebracht, die, witzig und gebildet, ihn seine Sorgen hatte vergessen lassen.
Wie gern hätte er sich, ihrem Beispiel folgend, auch nur Liebesgedichten gewidmet, um nicht mehr an die Aufmärsche der Armee denken zu müssen. Doch das war nur ein Traum, und ein hethitischer König hatte weder die Zeit noch das Recht zu träumen.
Muwatalli wärmte sich die Hände. Noch war er unschlüssig, ob er sich seines Bruders oder seines Sohnes oder gar aller beider entledigen mußte. Vor einigen Jahren wäre gewaltsames Eingreifen geboten gewesen. Viele hinterhältige Männer und sogar Herrscher waren an Gift gestorben, ein am hethitischen Hof hochgeschätztes Verfahren. Doch nun konnte ihm die Feindschaft zwischen den beiden Thronanwärtern von Nutzen sein. Machten sie sich nicht gegenseitig unschädlich, wodurch er als unentbehrlicher Vermittler erscheinen konnte?
Und noch eine andere Tatsache, eine beängstigende, nötigte ihm Zurückhaltung auf: das Königreich war im Begriff auseinanderzubrechen. Die wiederholten Niederlagen bei seinen Feldzügen, die hohen Kosten des Krieges und die Schwierigkeiten in den Handelsbeziehungen zu anderen Ländern drohten den Riesen ins Wanken zu bringen.
Muwatalli hatte im Heiligtum des Wettergottes Andacht gehalten, im prunkvollsten des Tempelbezirks der Unterstadt, der nicht weniger als einundzwanzig den Göttern geweihte Bauwerke umfaßte. Wie jeder Priester hatte der König drei Brote gebrochen, einen Felsblock mit Wein begossen und dazu die rituellen Worte gesprochen: «Möge es ewig währen!» Der Wunsch hatte seinem Land gegolten, denn in Alpträumen sah er sich zuweilen von Ägypten besiegt und von seinen Verbündeten verraten. Wie lange mochte er noch beschaulich von seinem Burgberg auf die steinernen Terrassen, die schönen Häuser der Würdenträger und die gewaltigen Stadttore hinunterblicken?
Der Kammerherr meldete dem Herrscher, daß sein Besucher eingetroffen sei. Dieser hatte sich von unzähligen Wachposten überprüfen lassen müssen, ehe er in die von Zisternen, Stallungen, einer Waffenschmiede und einer Kaserne umgebenen königlichen Gemächer gelangte.
Muwatalli pflegte seine Gäste gern in einem kalten, schmucklosen Säulensaal zu empfangen, in dem zur Schau gestelltes Kriegsgerät an die Siege der hethitischen Armee erinnerte.
Uriteschups schwerer Schritt war unter Tausenden herauszuhören. Hochgewachsen, muskulös, vor Kraft strotzend, mit fuchsrot behaarter Brust und wallender Mähne erweckte er den Eindruck eines gefährlichen Kriegers, stets bereit, zu neuen Schlachten aufzubrechen.
«Wie geht es dir, mein Sohn?»
«Schlecht, Vater.»
«Du scheinst indes bei guter Gesundheit zu sein.»
«Hast du mich rufen lassen, um meiner zu spotten?»
«Vergiß nicht, mit wem du sprichst!»
Uriteschup zügelte seine Überheblichkeit.
«Vergib mir, ich bin äußerst erregt.»
«Und weshalb?»
«Weil ich einmal Heerführer einer siegreichen Armee war und zur Bedeutungslosigkeit herabgewürdigt wurde, den Befehlen Hattuschilis untergeordnet, des bei Kadesch Geschlagenen! Wird damit nicht die Kraft vergeudet, die ich in den Dienst meines Landes stellen könnte?»
«Ohne Hattuschili wäre das Bündnis nicht zustande gekommen.»
«Und was hat es uns genützt? Hättest du mir Vertrauen geschenkt, hätte ich über Ramses triumphiert!»
«Du verharrst in einem Irrtum, mein Sohn. Wozu beschwörst du unablässig die Vergangenheit herauf?»
«Setze Hattuschili ab und übergib mir das uneingeschränkte Kommando!»
«Hattuschili ist mein Bruder, er steht bei unseren Verbündeten in hohem Ansehen, und ihm schenken auch die Kaufleute Gehör, ohne die wir keinen Krieg mehr führen könnten.»
«Was schlägst du mir also vor?»
«Legen wir unsere Zwistigkeiten bei, und vereinen wir unsere Kräfte, um Hatti zu retten.»
«Hatti zu retten… Wer bedroht es
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