Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
und nahm wieder die Haltung eines Sphinx ein.
«Ich möchte mich gern mit Prinz Kha unterhalten», erklärte der Vorsteher der Leibwache Isets der Schönen.
«Hat er sich etwas Schlimmes zuschulden kommen lassen?»
«Nein, gewiß nicht, aber er könnte mir vielleicht bei meinen Ermittlungen helfen.»
«Sobald er seine Rechenaufgabe gelöst hat, schicke ich ihn zu dir.»
Serramannas Nachforschungen hatten inzwischen Fortschritte gemacht.
Er wußte nun, daß ein libyscher Magier namens Ofir die beklagenswerte Lita getötet hatte. Sie war gestorben, weil sie auf ein Trugbild vertraut hatte. Der Ketzerei Echnatons das Wort redend, hatte sich der Libyer hinter diesem Glauben verschanzt, um arglose Gemüter besser täuschen und seine Rolle als Spion im Dienste der Hethiter tarnen zu können.
Dabei handelte es sich nun nicht mehr um Mutmaßungen, sondern um gesicherte Erkenntnisse, die Serramanna beim Verhör eines umherziehenden Händlers erlangt hatte. Er war den Soldaten der Leibwache am ehemaligen Wohnsitz Chenars ins Netz gegangen, wo Ofir sich lange Zeit versteckt gehalten hatte. Der Mann war gewiß nur ein unbedeutender Spitzel der Hethiter gewesen. Da er höchstens ab und zu für den nach Hatti zurückgekehrten syrischen Händler Raia gearbeitet hatte, war ihm nicht zu Ohren gekommen, daß das geheime Netz zerschlagen wurde und seine Mitglieder sich in alle Winde zerstreut hatten. Aus Furcht vor Mißhandlungen hatte er alles gestanden, was er wußte, und damit Serramanna die Möglichkeit verschafft, Licht ins Dunkel zu bringen.
Dennoch blieb Ofir unauffindbar, und Serramanna war der festen Meinung, daß auch Chenar in der Wüste nicht den Tod erlitten habe. War der Magier vielleicht gemeinsam mit Ramses’ Bruder zu den Hethitern geflohen? Die Erfahrung hatte den Sarden gelehrt, daß bösartige Menschen nie aufhörten, anderen Schaden zuzufügen, und daß ihr Einfallsreichtum unerschöpflich war. Kha näherte sich dem Riesen und blickte zu ihm auf.
«Du siehst sehr groß und sehr stark aus.»
«Bist du damit einverstanden, auf meine Fragen zu antworten?»
«Verstehst du dich auch auf die Rechenkunst?»
«Ich kann meine Männer zählen und die Waffen, die ich ihnen gebe.»
«Weißt du, wie man einen Tempel oder eine Pyramide baut?»
«Mir hat der Pharao eine andere Aufgabe zugedacht. Ich nehme Verbrecher fest.»
«Ich schreibe und lese gern Hieroglyphen.»
«Genau deshalb will ich mit dir über die Binse reden, die man dir gestohlen hat.»
«Die war mir die liebste. Ich vermisse sie sehr.»
«Du hast seither bestimmt darüber nachgedacht. Ich bin sicher, daß du einen Verdacht hegst und mir helfen wirst, den Schuldigen ausfindig zu machen.»
«Ja, ich habe darüber nachgedacht, aber ich kann nichts sagen, dessen ich mir gewiß wäre. Jemanden des Diebstahls zu beschuldigen ist eine zu ernste Sache, um es leichtfertig auszusprechen.»
Die Reife des Knaben versetzte den Sarden in Erstaunen.
Falls es wirklich einen Anhaltspunkt gab, hatte Kha ihn bestimmt nicht übersehen.
«Ist dir bei den Leuten, die dich umgeben, irgendein ungewöhnliches Verhalten aufgefallen?» fragte Serramanna beharrlich.
«Einige Wochen lang hatte ich einen neuen Freund.»
«Wer war das?»
«Der Gesandte Meba. Er nahm plötzlich Anteil an meiner Arbeit, aber ebenso plötzlich hat er sich wieder zurückgezogen.»
Ein breites Lächeln erhellte das zerfurchte Gesicht des Sarden.
«Danke, Prinz Kha.»
In Pi-Ramses war das Blumenfest wie in anderen Städten Ägyptens ein Tag überschäumender Freude. Als Oberste aller Priesterinnen vergaß Nefertari nicht, daß schon seit der ersten Dynastie die Herrschaft über das Land auf einer Abfolge von Festen beruhte, bei denen die Vermählung des Himmels mit der Erde gefeiert wurde. Durch die Rituale, die das Königspaar vollzog, ließ es das gesamte Volk am Leben der Götter teilhaben.
Auf den Altären der Tempel sowie vor jedem Haus entfaltete die Blumenkunst gleichermaßen ihre Pracht. Da prangten große Sträuße, Palmzweige und ganze Bündel von Schilfrohr, dort leuchteten Lotosblüten, Kornblumen und Mandragoren.
Zu den Klängen ihrer runden oder rechteckigen Tamburine tanzten die mit Girlanden aus Kornblumen und Mohn geschmückten Dienerinnen der Göttin Hathor durch die breiten Straßen der Hauptstadt, schwenkten dabei Akazienzweige, und ihre Füße versanken in Tausenden von Blütenblättern.
Ramses’ Schwester, Dolente, hatte Wert darauf gelegt, sich in der Nähe
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