Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
Waffenstillstand mit Ägypten, doch schon die bloße Tatsache, daß es Uriteschup gab, machte jeden derartigen Plan zunichte.
Sie allein konnte diesen Dämon daran hindern, sein Werk der Zerstörung zu Ende zu führen, sie allein konnte ihrem Gemahl Hattuschili zur Macht verhelfen, und er würde das Königreich auf den Pfad der Vernunft zurückbringen.
Da betrat Uriteschup das Heiligtum.
Puducheba verbarg sich hinter einer dicken Säule neben dem Opfertisch.
Doch der Sohn des Königs war nicht allein gekommen. Vier Soldaten sorgten für seine Sicherheit. Puducheba hätte enttäuscht von ihrem Vorhaben ablassen und unbemerkt aus dem Tempel schleichen sollen, aber würde sich ihr jemals eine bessere Gelegenheit bieten? Fortan würde Uriteschup nicht mehr das geringste Wagnis eingehen. Wenn sie schnell genug handelte, müßte es ihr gelingen, den drohenden Despoten zu ermorden, sie selbst würde dann allerdings von seiner Leibwache getötet werden.
Dieses Opfer nicht auf sich zu nehmen wäre pure Feigheit.
Sie mußte an die Zukunft ihres Landes denken und nicht an ihr eigenes Leben.
Schon schnitt der Seher den Bauch des Geiers auf, dem ein unerträglicher Geruch entströmte. Dann griff er in die Eingeweide und breitete sie auf dem Tisch aus.
Uriteschup trat näher heran. Der Abstand zwischen ihm und den Wachsoldaten betrug nun mehrere Ellen. Mit festem Griff umklammerte Puducheba den Dolch, um sich im nächsten Augenblick auf den Sohn des Königs zu stürzen. Sie mußte flink wie eine Wildkatze sein und ihre ganze Kraft einsetzen.
Der Aufschrei des Sehers ließ sie vor Schreck erstarren.
Uriteschup wich zurück.
«Wie grauenhaft!»
«Was siehst du in diesen Eingeweiden?»
«Hoher Herr, du mußt deine Pläne aufschieben… Das Schicksal ist dir nicht wohlgesinnt.»
Uriteschup hätte diesem Boten des Unheils am liebsten die Kehle durchgeschnitten, doch die Männer aus seiner Leibwache würden die schlechte Weissagung überall verbreiten. In Hatti pflegte man den Prophezeiungen der Seher große Beachtung zu schenken.
«Wie lange werde ich warten müssen?»
«Bis die Vorzeichen günstig ausfallen, Hoher Herr.»
Wutentbrannt stürmte Uriteschup aus dem Tempel hinaus.
ACHTUNDZWANZIG
DER HOF SCHWIRRTE von widersprüchlichen Gerüchten über die Reise des Herrscherpaares nach Nubien. Die einen behaupteten, sie stehe unmittelbar bevor, die anderen vermeinten zu wissen, sie sei wegen der Wirren in den Schutzgebieten auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
Manche glaubten gar, obwohl die «Söhne des Königs» die Truppen anführten, müsse Ramses von neuem in den Krieg ziehen.
Licht durchflutete das Arbeitszimmer des Pharaos, der vor der Statue seines Vaters innere Einkehr hielt. Auf dem großen Tisch lagen Sendschreiben aus Kanaan und Südsyrien.
Wächter, der goldgelbe Hund, schlummerte im Sessel seines Herrn.
Da betrat Ameni eilends den Raum.
«Eine Nachricht von Acha!»
«Hast du überprüft, ob sie echt ist?»
«Es ist seine Handschrift, und er hat in verschlüsselter Form meinen Namen erwähnt.»
«Wer hat sie gebracht?»
«Einer seiner Kundschafter, der soeben aus Hatti eingetroffen ist. Außer ihm hat niemand diese Botschaft in Händen gehabt.»
Ramses las die von Acha verfaßte Nachricht und erfuhr auf diese Weise das Ausmaß der Zwietracht, die das hethitische Königreich in seinen Grundfesten zu erschüttern drohte. Nun verstand er auch, warum ihm in den vorausgegangenen Schreiben dringend geraten worden war, die Festungen an der nordöstlichen Grenze in Alarmbereitschaft zu versetzen.
«Die Hethiter sind zur Zeit nicht imstande, uns anzugreifen, Ameni. Die Königin und ich können die Reise antreten.»
Mit seinem Amulett und dem magischen Armband gewappnet, schrieb Kha eine Rechenaufgabe ab, die darin bestand, die günstigste Steigung einer Rampe herauszufinden, über die auf den Baustätten die Steine nach oben befördert werden sollten.
Seine Schwester Merit-Amun übte sich wie jeden Tag im Harfespiel und entzückte damit ihren kleinen Bruder Merenptah, der unter der Aufsicht Isets der Schönen und des nubischen Löwen seine ersten Schritte unternahm. Schlächter fand Gefallen daran, mit halbgeschlossenen Augen den noch zögernden und ungeschickten Gehversuchen des kleinen Jungen zuzusehen.
Doch plötzlich hob das Raubtier den Kopf, denn am Eingang in den Garten erschien Serramanna. Als es die friedlichen Absichten des Sarden spürte, begnügte es sich mit einem leisen Knurren
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