Rangun
der auf Ram zukam, der Niederlage. Sie hatte versucht, nicht an ihn zu denken, doch ihr Verstand und ihr Herz waren an ihn gekettet, da sie die Ketten derselben Ungerechtigkeit, derselben Verzweiflung teilten. Könnte ich das besser ertragen, wenn er mich liebt? Oder wäre die Qual nur heftiger? Soll ich mehr trauern, wenn er mich nicht liebt, weil ich ihn zweimal verloren habe? Der Hafennebel schien den glitzernden Schleier des Sari gegen ihre Lippen zu drücken, ließ jedes Gefühl für menschliche Gestalt verschwimmen, bis sie sich so unwirklich wie ein wandelnder Geist fühlte. Aber sie war nicht allein. In den Nebel zu schauen war, als sähe sie einem Zug von Geistern zu - und dazwischen die Segel der schönen Rani. Sie sah wieder Rams dunkles Profil, als er lautlos durch den Seenebel von Khandahoor schwamm. Aniras wahnsinniges Gesicht, verzerrt und mörderisch. Im Wasser spiegelte sich jetzt ein anderes Gesicht mit einer Narbe, die es vom Kiefer bis zur Stirn teilte. Sie drehte sich um und sah Naswral.
Er war unruhig. »Wo ist Ihr Mädchen?«
»War sie nicht in der Kutsche?« Niemand, der sich der Gegend näherte, konnte sie übersehen. Wenn Naswral es gut meinte - und Harry glaubte, daß es nicht so war -, hätte er keinen Grund gehabt, die Kutsche zu überprüfen.
Er verstand die Andeutung nicht. »Ich habe sie nicht gesehen.« Dann: »Für eine Frau allein ist das kein sicherer Ort.«
»Warum haben Sie ihn dann vorgeschlagen?« erwiderte sie auf Hindi.
Überrascht sah er sie an. »Er ist abgeschieden. Sie sind in größerer Gefahr, als Sie ahnen, Miß Herriott. Einige wollen Ihr Schweigen.«
»Das wurde mir wiederholt gesagt, bevor ich das letzte Mal verschwand. Meint jemand, ich würde wieder verschwinden?«
Er musterte die Werft. »Machen Sie sich keine Sorgen um Ihr Mädchen, Miß Herriott?«
»Sie erledigt etwas Privates«, murmelte Lysistrata. »Muß ich das genauer darlegen?«
Er errötete überraschenderweise. »Tut mir leid. Ich überlegte nur...«
»Wo sie sein könne. Ich frage mich, was Sie sagen wollen.«
Er zögerte, begann dann: »Sie müssen sich von Gopal Prasad fernhalten und dürfen nicht vor dem britischen Gericht aussagen. Daraus kommt nichts Gutes. Prinz Ram Kachwaha wird hängen. Die Briten haben das beschlossen und die... die weniger erkennbare Macht in Rangun haben.«
»Wer sind diese weniger Bekannten?«
»Das will ich nicht wissen. Ich habe nur gehört, was an den bösen Orten der Stadt erzählt wird.«
»Welche Unschuld, mein Freund«, schnurrte sie, »für jemand, der so wissend wirkt. Wovor haben Sie Angst? Daß die, die Sie bezahlen, entdecken, daß Sie unzuverlässig sind?«
»Ich... verstehe nicht.«
Sie warf den Sarischleier zurück. »Wie lange haben Sie über Ram schon Informationen weitergegeben... an diese Unbekannten? Wie lange werden Sie hier noch schwätzen, bevor Sie nicht mehr länger auf Ma Saw zu warten vorzugeben und versuchen, den Auftrag auszuführen, den Gopal Prasad gab?«
Er erstarrte, dann verzerrte ein gnadenloses Lächeln seine Narbe. »Sie sind klug, Miß Herriott, aber ebenso voreilig wie damals, als Sie während der Cholera in Ram Kachwahas Haus gingen. Dieses Mal wird man Sie nicht finden, wenn Sie verschwinden. Aber keine Sorge, ich werde Ihr Mädchen finden.«
»Andere wissen, daß ich mich heute nacht mit Prasad getroffen habe. Man wird ihn sofort verdächtigen.«
»Auf diese fette Kröte würde ich mich nicht verlassen«, höhnte Naswral. »Er ist entbehrlich geworden. Es ist gut so, daß er sich in einem seiner gierigen Pläne selbst gefangen hat.«
Auf seinen gekränkten Stolz bauend, lachte Lysistrata leise.
»Sie wollen also Prasad meinen Tod zuschieben. Sie sind der Kluge... aber Sie haben das doch nicht geplant, oder?«
Bestürzt runzelte er die Stirn. »Das ist unwichtig. Ich führe es aus.«
»Und wenn Prasad nicht schweigt, wenn die Behörden ihn verhören?«
Das Narbengesicht grinste. »Mit einer Garotte um den Hals wird er kaum sprechen können.«
»Wie es Sein schwerfiel, mit einem Mund voller Tamarinden zu sprechen.« Sie musterte ihn. »Auch Ihr Werk?«
Er lachte. »Hinter diesen lächelnden Hurenlippen hatte die Schlampe nichts als eine geschwätzige Zunge. Ja, ich habe sie mit Freude getötet.«
»Aber warum haben Sie Ram betrogen, der Sie aufnahm?«
Er spuckte verächtlich aus. »Er hat keinen Stolz, dieser Feringhi -Bastard. Er ist weniger als ich, glaubt aber, ich sei sein Diener. Kali verfluche ihn.
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