Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld
sein, dass das Opfer identifiziert ist. Möchten Sie es nachprüfen?« Lauderdale riss das Blatt aus dem Block.
»Weinen Hibs-Fans?«, entgegnete Rebus und nahm ihm das Blatt aus der Hand.
Genau genommen neigten nicht alle Hibs-Fans zu Tränen. Siobhan Clarke war Anhängerin von Hibernian, womit sie in St. Leonard’s einer Minderheit angehörte. Da sie in England aufgewachsen war (und damit einer weiteren, weit kleineren Minderheit angehörte), hatte sie kein Gespür für die subtileren Aspekte der schottischen Volksseele, auch wenn ein, zwei Kollegen versucht hatten, sie aufzuklären. Sie war keine Katholikin, erklärten sie geduldig, also sollte sie zu Heart of Midlothian halten. Hibernian war die katholische Mannschaft, was man an ihrem Namen und den grünen Trikots erkannte. Sie waren Edinburghs Version von Glasgow Celtic, genauso wie die Hearts den Glasgow Rangers entsprachen.
»In England ist das auch nicht anders«, sagten sie. »Überall, wo Katholiken und Protestanten auf einem Fleck zusammenleben.« Manchester hatte United (katholisch) und City (protestantisch), Liverpool hatte Liverpool (katholisch) und Everton (protestantisch). Kompliziert wurde es nur in London. London hatte sogar jüdische Mannschaften.
Siobhan Clarke lächelte nur und schüttelte den Kopf. Diskussionen führten zu nichts, was sie allerdings nicht davon abhielt, es immer wieder zu versuchen. Die anderen scherzten einfach nur weiter, spöttelten, versuchten, sie zu bekehren. Es war ein unbeschwertes Geplänkel, aber sie konnte nicht immer erkennen, wie unbeschwert. Die Schotten hatten die Neigung, Witze mit bierernster Miene zu erzählen und es todernst zu meinen, wenn sie lächelten. Als ein paar Beamte in St. Leonard’s herausfanden, dass sie bald Geburtstag haben würde, bekam sie ein gutes halbes Dutzend Hearts-Schals geschenkt. Sie wanderten alle in die Kleidersammlung.
Sie hatte auch die dunklere Seite der Fußballbegeisterung erlebt. Die Sammelbüchsen bei bestimmten Spielen. Je nachdem, in welcher Fankurve man gerade stand, wurde man aufgefordert, für die eine oder die andere »gute Sache« zu spenden. Gewöhnlich wurde für »Angehörige« oder »Opfer« oder »die Gefangenenhilfe« gesammelt, aber jeder, der etwas spendete, wusste, dass er damit möglicherweise auch die Fortsetzung der Gewalt in Nordirland unterstützte. Erschreckenderweise spendeten die meisten. Je ein Pfund für den Ankauf einer Pistole.
Das Gleiche hatte sie am Samstag erlebt, als ein paar Freunde sie zur Hearts-Fankurve mitgenommen hatten. Die Sammelbüchse hatte die Runde gemacht, und sie hatte sie ignoriert. Danach waren ihre Freunde eher wortkarg gewesen.
»Wir sollten was dagegen unternehmen«, beklagte sie sich bei Rebus, in dessen Auto sie saß.
»Zum Beispiel?«
»Ein Undercoverteam einschleusen, jeden verhaften, der hinter der Sache steckt.«
»Jetzt machen Sie aber halblang.«
»Und warum bitte nicht?«
»Weil damit überhaupt nichts gewonnen wäre und wir denen nichts anderes anhängen könnten als Spendensammeln ohne Genehmigung oder sonst was in der Art. Abgesehen davon – wenn Sie mich fragen, fließt der größte Teil des Geldes direkt in die Tasche des Sammlers. Nordirland erreicht es nie.«
»Aber es geht dabei ums Prinzip !«
»Herrgott, wenn ich das schon höre!« Prinzipien: die verschwanden sehr langsam, und manche Bullen verloren sie nie ganz. »Da wären wir.«
»Warum ist es eigentlich immer im obersten Stock?«
»Weil die armen Leute nun mal da wohnen.«
Im obersten Stock gab es zwei Türen. Über der einen Klingel stand der Name MURDOCK. Direkt vor der Tür lag ein brauner Fußabtreter. Der darin eingewobene Willkommensgruß lautete: VERPISS DICH!
»Reizend.« Rebus klingelte. Es öffnete ein bärtiger Mann mit einer dicken Nickelbrille. Der Bart machte es nicht gerade einfacher, aber Rebus hätte den Mann auf Mitte zwanzig geschätzt. Er fuhr sich mit einer Hand durch das dichte, schulterlange schwarze Haar.
»Ich bin Detective Inspector Rebus. Das ist –«
»Herein, immer herein. Passen Sie aufs Motorrad auf.«
»Ihres, Mr. Murdock?«
»Nein, Billys. Seit er hier eingezogen ist, ist das Ding nicht einmal auf der Straße gewesen.«
Der Rahmen des Motorrads war intakt, aber der Motor lag in Einzelteilen auf dem Flurteppich, säuberlich auf alten Zeitungen angeordnet, mittlerweile schwarz von Öl. Kleinere Teile waren einzeln in Plastiktütchen verpackt und jeweils mit einer Kennzahl versehen.
»Das ist
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