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Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld

Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld

Titel: Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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berührte die Tür mit den Fingerspitzen. Gott – sich vorzustellen, dass er nicht mehr da war, nie wieder da sein würde! Sie versuchte, ihre Atmung zu kontrollieren, schnell ein, langsam aus. Sonst konnte es passieren, dass sie hyperventilierte. Anfälle von Panik nannte man das. Jahrelang hatte sie darunter gelitten, ohne zu wissen, dass sie nicht allein war. Es gab eine Menge Leute wie sie. Billy war einer davon gewesen.
    Sie drehte den Türknauf und schlüpfte in sein Zimmer. Seine Mutter war am Nachmittag hier gewesen, außerstande, mit all dem fertig zu werden. Die Polizistin, die beim ersten Mal dabei gewesen war, hatte sie begleitet. Billys Mutter hatte sich sein Zimmer angesehen und dann den Kopf geschüttelt.
    »Ich schaff’s nicht. Ein andermal.«
    »Wenn Sie möchten«, hatte Millie angeboten, »kann ich alles für Sie zusammenpacken. Sie bräuchten die Sachen dann nur noch abholen zu lassen.« Die Polizistin hatte dankbar genickt. Na ja, das war schließlich das Mindeste … Sie fühlte Tränen aufsteigen und setzte sich auf sein schmales Bett. Komisch, wie ein so schmales Bett breit genug für zwei sein konnte, wenn die zwei sich nahe standen. Sie machte wieder ihre Atemübung. Schnell ein, langsam aus, aber diese Worte, die Anweisungen, die sie sich selbst gab, erinnerten sie an andere Dinge, andere Zeiten. Schnell ein, langsam aus.
    »Ich hab so ein Selbsthilfebuch«, hatte Billy gesagt. »Es ist in meinem Zimmer.« Er war es ihr holen gegangen, und sie war ihm gefolgt. So ein ordentliches Zimmer! »Hier ist es«, hatte er gesagt und sich schnell nach ihr umgedreht, ohne zu ahnen, wie dicht sie hinter ihm stand.
    »Was soll dieses ganze Rote-Hand-Zeugs?«, hatte sie gefragt, den Blick an ihm vorbei auf die Wände gerichtet. Er hatte gewartet, bis sie wieder ihn ansah, und sie dann geküsst, mit der Zunge an ihren Zähnen gerieben, bis sie ihn einließ.
    »Billy«, sagte sie jetzt, und ihre Hände vergruben sich ganz von selbst in seiner Bettdecke. Sie blieb ein paar Minuten lang so, während ein Teil ihres Bewusstseins wachsam blieb und auf Geräusche aus dem Zimmer horchte, das sie mit Murdock teilte. Dann rutschte sie auf dem Bett weiter bis zu der Stelle, wo an der Wand der Hearts-Wimpel hing. Sie schob ihn mit einem Finger beiseite.
    Darunter war eine Diskette mit Klebestreifen an der Wand befestigt. Sie hatte sie dagelassen, hatte halb gehofft, dass die Polizisten sie bei der Durchsuchung des Zimmers finden würden. Aber sie waren total blind gewesen. Und während sie ihnen beim Suchen zusah, hatte sie plötzlich Angst bekommen und angefangen zu hoffen, sie würden sie nicht finden. Jetzt schob sie die Fingernägel unter die Diskette, löste sie von der Wand und sah sie sich an. Na ja, jetzt gehörte sie ihr, oder? Sie würden sie vielleicht deswegen umbringen, aber sie konnte sich unmöglich von ihr trennen. Sie war Teil ihrer Erinnerungen an ihn. Sie rieb mit dem Daumen über das Etikett. Das Laternenlicht, das durch die ungeputzte Fensterscheibe hereindrang, reichte zum Lesen nicht ganz aus, aber sie wusste ohnehin, was darauf stand.
    Es waren nur drei Buchstaben: SaS.
    Dunkel Dunkel Dunkel.
    Wenigstens an diesen Vers erinnerte sich Rebus. Wenn Patience ihn aufgefordert hätte, aus einem Gedicht zu zitieren, statt ihr Filmtitel zu nennen, hätte er keine Probleme gehabt. Er stand in St. Leonard’s an einem Fenster und gönnte sich einen Kurzurlaub von seinem Schreibtisch, von all den Akten über Morris Gerald Cafferty.
    Dunkel Dunkel Dunkel.
    Sie versuchte, ihn zu kultivieren. Sie hätte es natürlich nie zugegeben. Stattdessen sagte sie, es wäre doch schön, wenn sie dieselben Vorlieben hätten. Dann hätten sie etwas, worüber sie sich unterhalten könnten. Also gab sie ihm Gedichtbände und spielte ihm klassische Musik vor, besorgte Karten fürs Ballett und für modernen Tanz. Rebus hatte das alles schon mal erlebt, andere Zeiten, andere Frauen. Frauen, die das gewisse Etwas-mehr wollten, das engagierte Engagement.
    Er konnte mit all den Dingen nichts anfangen. Er genoss das Elementare, das Wilde. Cafferty hatte ihm einmal vorgeworfen, er möge die Grausamkeit, fühle sich zu ihr hingezogen; was für ihn als Kelte nur recht und billig sei. Und hatte Rebus nicht Peter Cave irgendwie das Gleiche vorgeworfen? Jetzt fiel es auf ihn zurück.
    Seine Zeit in Nordirland.
    Er war schon früh da gewesen, im Anfangsstadium der »Unruhen«, 1969, gerade als alles überzukochen begann; so früh,

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