Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld
Ich hab Kids schon immer gern gemocht. Früher habe ich eine Fußballmannschaft trainiert, Jugendklub und so. Für Jungs würd ich alles tun.« Er lächelte wieder. »Das liegt daran, dass ich selbst noch ein Junge bin, Inspector. Ich bin so’n richtiger verdammter Peter Pan.«
Noch immer das Foto in der Hand, lud er sie auf einen Drink ins Lokal ein. Rebus war versucht anzunehmen, lehnte aber dann doch ab. In der Bar würde gähnende Leere herrschen; kein Ort für einen Drink. Er reichte Bothwell eine Karte mit seiner Büronummer.
»Ich werd mein Bestes tun«, meinte Bothwell.
Rebus nickte und wandte sich ab. Er sprach kein Wort, bis sie wieder in Siobhans Auto saßen.
»Nun, was denken Sie?«
»Unheimlich«, sagte sie. »Wie kann er sich bloß so anziehen?«
»Jahrelange Übung vermutlich.«
»Und, was halten Sie von ihm?«
Rebus dachte nach. »Schwer zu sagen. Lassen Sie mich bei einem Drink darüber nachdenken.«
»Das ist sehr nett, Sir, aber ich gehe heute Abend aus.« Sie sah demonstrativ auf ihre Uhr.
»Eine Fringe-Show?«
Sie nickte. »Ein früher Tom Stoppard«, erwiderte sie. »Nun«, schniefte Rebus, »ich hatte sowieso nicht gesagt, dass Sie eingeladen sind.« Nach kurzem Schweigen fragte er: »Mit wem gehen Sie hin?«
Sie sah ihn an. »Ich geh allein, auch wenn Sie das überhaupt nichts angeht … Sir.«
Rebus rutschte ein wenig auf dem Sitz herum. »Sie können mich am Ox rauslassen.«
Als sie am Crazy Hose Saloon vorbeifuhren, war von Frankie Bothwell nichts mehr zu sehen.
Der Ox brachte Rebus auf den Geschmack. Er rief Patience an, aber es meldete sich nur der Anrufbeantworter. Er glaubte sich dunkel zu erinnern, dass sie an dem Abend ausgehen wollte, aber er wusste nicht mehr, wohin. Er nahm die langsame Route nach Haus. In Daintry’s Lounge blieb er am Tresen stehen und hörte sich die derben Witze an. Das Festival zog Lokale wie das Daintry’s nur insofern in Mitleidenschaft, als es sie mit Plakaten für seine Veranstaltungen belieferte. Die Poster stellten die einzige Dekoration dar, die das Lokal je aufzuweisen hatte. Er starrte auf ein Schild, das über der Reihe von Portionierern hing und erklärte: »Wenn Arschlöcher fliegen könnten, wäre dieses Lokal ein Flughafen.«
» Ready for take-off «, sagte er zur Bardame und hielt ihr sein leeres Glas hin.
Einige Zeit später stellte er fest, dass er sich Oxford Terrace von der Lennox Street her näherte, also bog er in die Lennox Street Lane ein. Die ehemaligen Ställe, die die Gasse säumten, waren in Eigentumswohnungen mit jeweils eigener Garage im Parterre umgewandelt worden. Die Gegend wirkte immer wie ausgestorben. Ein paar Mietshäuser der Oxford Terrace gingen nach hinten auf die Gasse. Rebus hatte einen Schlüssel zu Patience’ Gartentor. Er würde durch die Hintertür reingehen. Es gab zwar kürzere Abkürzungen als diese, aber er mochte die Gasse.
Er war etwa ein Dutzend Schritte vom Tor entfernt, als ihn jemand packte. Und zwar von hinten, am Mantel, den er so stramm zog, dass Rebus sich wie in einer Zwangsjacke fühlte. Der Mantel schob sich über seinen Kopf und machte die Arme unbeweglich, hielt ihn gefangen. Ein Knie rammte sich ihm ins Kreuz. Er trat um sich, wodurch er nur umso leichter aus dem Gleichgewicht geriet. Schreiend und fluchend stürzte er zu Boden. Der Angreifer hatte seinen Mantel losgelassen. Während Rebus verzweifelt versuchte, sich davon zu befreien, knallte ihm ein Fuß gegen die Schläfe. Der Fuß trug einen Turnschuh, was erklärte, warum Rebus nicht gehört hatte, dass ihm jemand gefolgt war. Es erklärte auch, warum er trotz des Tritts das Bewusstsein nicht verlor.
Ein weiterer Tritt traf ihn an der Seite. Und dann, gerade als er den Kopf aus dem Mantel freibekam, erwischte ihn der Fuß am Kinn, und er sah nur noch Pflastersteine unter sich, glatt und glänzend im spärlichen Licht. Jetzt machten sich die Hände des Angreifers an ihm zu schaffen, sie durchsuchten seine Taschen. Der Mann atmete keuchend.
»Nimm das Geld«, sagte Rebus, während er versuchte, wieder klar zu sehen. Er wusste, dass es nicht viel zu nehmen gab, weniger als einen Fünfer, und alles in Kleingeld. Tatsächlich schien der Mann mit der Ausbeute nicht restlos zufrieden zu sein. Es war nicht viel für die Mühen einer Nacht.
»Ich hau dich krankenhausreif.« Der Mann sprach mit Glasgower Akzent. Rebus konnte inzwischen die vierschrötige Gestalt des Angreifers erkennen, dessen Gesicht allerdings noch nicht.
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