Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld

Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld

Titel: Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
Vom Netzwerk:
Landung ansetzten, legte sich die Maschine steil in die Querlage, wie einer dieser Folterapparate auf Jahrmärkten, auf denen Jugendliche ihren Mut zu beweisen pflegen. Rebus hatte noch immer ein Koffeinsummen in den Ohren.
    »Nicht schlecht, wie?«, fragte Smylie.
    »Stimmt, gar nicht schlecht.« Rebus war seit ein paar Jahren nicht mehr geflogen. Seit seiner SAS-Ausbildung litt er unter Flugangst. Schon jetzt graute ihm vor dem Rückflug. Solange er hoch oben in der Luft war, hatte er keine Probleme, das machte ihm nichts aus. Aber der Start und die Landung … dieser Ausblick auf den Boden, so nah und doch weit genug entfernt, um einen umzubringen, wenn man darauf fiel … Jetzt kam’s wieder, die Maschine verlor schnell, zu schnell an Höhe. Seine Finger krampften sich schmerzhaft um die Armlehnen.
    Und dann waren sie unten. Smylie stand schnell auf. Der Sitz war zu eng für ihn gewesen und hatte ihm wenig Beinfreiheit gelassen. Er lockerte Nacken und Schultern, dann rieb er sich die Knie.
    »Willkommen in Belfast!«, sagte er.
    »Wir bieten unseren Gästen gern eine Stadtrundfahrt«, sagte Yates.
    Inspector Yates von der Royal Ulster Constabulary und auch sein Auto waren in Zivil. Sein Gesicht sah aus wie das eines Boxers. Die Nase hatte einen Linksdrall, ein Ohrläppchen hing tiefer als das andere, und das Kinn wies einige nicht ganz gelungene Nahtstellen auf. In einer Bar hätte man ihn kurz angesehen und dann schnell weggeschaut. Hinzu kam noch, dass er keinen Hals hatte. Sein Kopf saß ihm auf den Schultern wie ein Findling auf der Kuppe eines Hügels.
    »Sehr freundlich«, sagte Smylie, während sie stadteinwärts rasten, »aber wir würden lieber –«
    »Damit Sie sehen, womit wir’s hier zu tun haben.« Yates sah immer wieder in den Rückspiegel, unterhielt sich praktisch nur mit ihm. »Die zwei Städte. Ist in jedem Kriegsgebiet das Gleiche. Ich kannte mal ’n Typ, das war auf dem Höhepunkt der Unruhen in Beirut, der bekam dort eine Stelle als Croupier angeboten. Es regnete Bomben, Heckenschützen ballerten aus jeder Ecke, aber die Spielkasinos waren noch offen. Und das hier« – er nickte aus dem Fenster – »sind die Rekrutierungsbüros.«
    Sie hatten den City Airport hinter sich gelassen, das Geschäftszentrum der Stadt gestreift und durchquerten jetzt eine Einöde. Bis jetzt hätte man nicht sagen können, in welcher britischen Stadt man sich gerade befand. Unten am Hafen wurde eine neue Straße gebaut. Alte Mietshäuser, auch nicht schlimmer als die im Gar-B, wurden abgerissen. Wie Yates bemerkt hatte, war die Grenze manchmal unsichtbar.
    Nicht weit von ihnen entfernt schwebte ein Hubschrauber hoch oben am Himmel und beobachtete jemanden oder etwas. Ringsherum waren ganze Straßenzüge planiert worden, die Bordkanten grün-weiß gestrichen.
    »In anderen Stadtteilen werden Sie auch rot-weiß-blaue sehen.«
    An der Giebelseite eines Reihenhauses prangte ein aufwändiges Gemälde. Rebus konnte drei vermummte Gestalten mit hoch erhobenen automatischen Gewehren erkennen. Über ihnen flatterte die irische Trikolore, und über dieser wiederum entstieg ein Phönix irgendwelchen Flammen.
    »Hübsches Stück Propaganda«, meinte Rebus.
    Yates wandte sich zu Smylie. »Ihr Mann weiß, wovon er redet. Das ist ein Kunstwerk. Das hier sind übrigens einige der ärmsten Straßen Europas.«
    Rebus fand sie gar nicht so schlimm. Die Giebelwand hatte ihn wieder an das Gar-B erinnert. Nur dass hier mehr wieder aufgebaut wurde. Aus den alten Wohnsiedlungen gingen neue hervor.
    »Sehen Sie die Mauer da?«, fragte Yates. »Das ist eine so genannte ökologische Mauer, vom städtischen Bauamt hingestellt und instand gehalten.« Es war eine rote Backsteinmauer, funktionell, mit einem Muster im Ziegelverband. »Da standen früher Häuser. Die andere Seite der Mauer ist protestantisches Territorium, wenn man erst mal das Ödland hinter sich hat. Sie reißen die Häuser ab und verlängern die Mauer. Dann gibt’s auch noch die Friedenslinie, das ist ein hässliches altes Ding, nicht aus Ziegeln, sondern aus Wellblech. Straßen wie diese sind ein gefundenes Fressen für die Paramilitärs. Die loyalistischen Wohngebiete sehen genauso aus.«
    Blicke folgten dem langsam vorüberfahrenden Auto – Blicke von Kindern und Jugendlichen, die in Grüppchen an Straßenecken herumstanden. In ihren Augen lag weder Angst noch Hass, nur Misstrauen. Auf eine Wand hatte jemand allerlei Sprüche geschmiert, alte Anspielungen auf den

Weitere Kostenlose Bücher