Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld
Dazu war es zu dunkel. Jetzt richtete sich der Mann wieder auf, und Münzen rieselten ihm aus den Händen und prasselten auf Rebus herab.
Er hatte Rebus gerade genug Zeit gelassen, um den Alkoholnebel zu lichten. Rebus sprang auf und rammte dem Mann den Kopf in den Magen, sodass dieser ein paar Schritte zurücktaumelte. Der Mann behielt das Gleichgewicht, aber jetzt stand auch Rebus wieder auf beiden Füßen, und er war größer als der Glasgower. Da blitzte etwas in der Hand des anderen auf. Ein Rasiermesser. Rebus hatte seit Jahren keine solche Waffe mehr gesehen. Sie schoss in einem blitzenden Bogen auf ihn zu, aber er konnte ausweichen. Dann sah er, dass noch zwei Leute da waren. Sie hatten die Hände in den Taschen und schauten zu. Er glaubte, Caffertys Männer, die beiden vom Kirchhof, zu erkennen.
Das Rasiermesser zischte wieder vorbei. Der Glasgower lächelte fast, während er es handhabte. Rebus zog den Mantel aus und wickelte ihn sich um den linken Arm. Er parierte den nächsten Hieb mit dem Arm, und während er spürte, wie die Klinge durch den Stoff schnitt, trat er mit dem rechten Fuß zu und traf mit der Schuhsohle das Knie des Angreifers. Der Mann wich einen Schritt zurück, und Rebus trat wieder zu. Diesmal erwischte er einen Oberschenkel. Als der Mann einen Gegenangriff startete, hinkte er, und Rebus konnte ihm leicht ausweichen. Aber anstatt mit dem Rasiermesser auszuholen, warf sich der Mann mit seinem ganzen Gewicht auf Rebus und stieß ihn gegen ein Garagentor. Dann machte er kehrt und rannte davon.
Die Gasse hatte einen einzigen Ausgang, und auf den lief er zu, vorbei an Caffertys Männern. Rebus atmete einmal tief durch, dann sackte er auf die Knie und erbrach sich auf den Boden. Sein Mantel war hin, aber das war das geringste Problem. Caffertys Männer kamen auf ihn zugeschlendert, hoben ihn wie einen Kartoffelsack hoch und stellten ihn wieder auf die Füße.
»Alles in Ordnung?«, fragte der eine.
»Bisschen außer Atem«, meinte Rebus. Außerdem tat sein Kinn weh, aber Blut war keins zu sehen. Er kotzte noch ein bisschen Alkohol aus und fühlte sich gleich besser. Der andere Mann hatte sich gebückt und das Geld aufgelesen. Rebus verstand nicht so recht.
»Euer Mann?«, fragte er. Sie schüttelten beide den Kopf. Dann sprach der größere von beiden.
»Er hat uns nur die Arbeit abgenommen.«
»Er versuchte, mich ins Krankenhaus zu befördern.«
»Ich glaube, das hätte ich auch getan«, sagte der Große und streckte die Hand mit Rebus’ Münzen aus, »wenn ich nicht mehr als das gefunden hätte.«
Rebus nahm das Geld und steckte es ein. Dann schlug er zu. Es war ein langsamer, müder Schwinger und ging voll daneben. Der Große zielte dagegen tadellos. Sein Schlag raubte Rebus sämtlichen noch verbliebenen Kampfgeist. Er fiel wieder auf die Knie und stützte sich mit den flachen Händen auf dem kalten Pflaster ab.
»Das als kleiner Ansporn«, sagte der Mann. »Nur für den Fall, dass Sie einen brauchen. Mr. Cafferty wird sich schon bald mit Ihnen unterhalten.«
»Nicht wenn’s nach mir geht«, stieß Rebus hervor, mit dem Rücken an das Garagentor gelehnt. Die beiden entfernten sich in Richtung Straße.
»Er wird sich mit Ihnen unterhalten.«
Dann waren sie verschwunden.
Ein Glasgower mit einem Rasiermesser, dachte Rebus bei sich, froh, einfach dasitzen zu können, bis der Schmerz nachließe. Wenn nicht Caffertys Mann, wessen dann?
Und warum?
14
Rebus war noch nicht richtig wach, als er den Hörer abnahm.
»Heide!«, keuchte er in die Sprechmuschel.
»Bitte?«
»Zu so einer unchristlichen Zeit anzurufen.« Er hatte die Stimme von D.C.I. Kilpatrick erkannt. Er rieb sich mit der flachen Hand über das Gesicht und zog dabei seine Augenlider auf. Sobald er halbwegs scharf sehen konnte, versuchte er herauszufinden, wie spät es war; denn als er blindlings nach dem Telefon gegriffen hatte, war seine Uhr offenbar auf den Boden geflogen. »Was wollen Sie … Sir?«
»Ich hoffte, Sie könnten heute ein bisschen früher kommen.«
»Was? Die Putzfrauen streiken, und Sie brauchen Ersatz?«
»Klingt wie frisch exhumiert, reißt aber immer noch Witze.«
»Wann soll ich da sein?«
»Sagen wir, in einer halben Stunde?«
» Sie sagen das, ich tu, was ich kann.« Er legte auf und fand seine Uhr – am Handgelenk. Sie zeigte fünf nach sechs. Er war weniger eingeschlafen, als ins Koma gefallen. Vielleicht lag es am Alkohol oder am Kotzen oder an den Prügeln. Möglicherweise waren
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