Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld
es aber auch die zu vielen langen Nächte, die ihn allmählich einholten. Er sah sich seine Seite an: Sie war grün und blau, aber nicht zu schlimm. Das Gesicht fühlte sich nicht allzu übel an, war nur leicht aufgeschürft.
»Wer zum Teufel war das?«, murrte Patience’ verschlafene Stimme unter dem Kissen hervor.
»Die Pflicht ruft«, sagte Rebus und schwang seine Beine lustlos aus dem Bett.
Sie saßen in Kilpatricks Büro, Rebus und Ken Smylie. Rebus hielt sich wie der Überlebende einer Katastrophe, der sich an einen winzig kleinen Trost klammert, an seiner Kaffeetasse fest. Er hätte nicht schlimmer aussehen können, wenn er eine Decke um die Schultern und einen Reporter vor sich gehabt hätte, der von ihm wissen wollte, wie er den Flugzeugabsturz so gefunden habe. Sein frühmorgendlicher Schwung hatte vom Bett bis ins Bad vorgehalten, der Blick in den Spiegel einige Überwindung gekostet. Unter den Bartstoppeln waren die blauen Flecken kaum zu sehen, aber von innen spürte man sie durchaus.
Smylie war ausreichend wach und brauchte kein Koffein. Und Rebus hätte auch besser darauf verzichten sollen, denn später würde es ihm gehörig zu schaffen machen.
Es war eine Minute vor sieben, und sie sahen Kilpatrick dabei zu, wie er so tat, als würde er ein mehrseitiges Fax noch einmal durchlesen. Endlich war er so weit. Er legte die Blätter hin und verschränkte die Hände. Rebus und Smylie versuchten, etwas vom Fax zu entziffern.
»Die Vereinigten Staaten haben sich gemeldet. Sie hatten Recht, Ken, sie arbeiten wirklich schnell. Kurz gesagt, es gibt in den USA zwei verhältnismäßig weit verbreitete, aber harmlose Organisationen, die eine davon heißt ›Scottish Rite Temple‹.«
»Das ist so eine Art Freimaurerloge für Schotten«, sagte Rebus, als er sich an Vanderhydes Worte erinnerte.
Kilpatrick nickte. »Die andere heißt ›Scottish Sword and Shield‹.« Er beobachtete Rebus und Smylie dabei, wie sie einen Blick tauschten. »Freuen Sie sich nicht zu früh. Sie ist um einiges … exklusiver als die Scottish Rites, aber mit Waffenhandel gibt sie sich nicht ab. Allerdings« – er hob das Fax wieder auf – »gibt es noch eine letzte Gruppe. Ihre Zentrale ist in Toronto, Kanada, aber sie hat auch Niederlassungen in den Staaten, besonders im Süden und Nordwesten. Sie nennt sich ›The Shield‹, und die werden Sie in keinem Telefonbuch finden. Das FBI ermittelt seit über einem Jahr gegen die amerikanische Dependance, ebenso die US-Steuerfahndung. Ich habe mich ein wenig mit einem Beamten in der FBI-Zentrale in Washington unterhalten.«
»Und?«
»Der Shield sammelt Spenden, nur dass niemand so genau weiß, wofür. Was immer der Verein auch sein mag, katholisch ist er jedenfalls nicht. Der FBI-Agent meinte, er habe schon viel von diesen Informationen an die Royal Ulster Constabulary weitergeleitet, für den Fall, dass die Organisation einmal deren Baby werden sollte.«
Zehn Minuten lang Washington an der Strippe gehabt, und schon redete Kilpatrick wie ein amerikanischer Fernsehbulle.
»Das heißt also«, stellte Rebus fest, »wir müssen mit den Kollegen in Nordirland reden.«
»Ist schon passiert. Deswegen hab ich Sie ja hergebeten.«
»Was haben sie gesagt?«
»Sie waren ganz schön zurückhaltend.«
»Also wie immer, Sir«, sagte Smylie.
»Sie haben wohl zugegeben, gewisse Informationen über eine Gruppe namens ›Sword and Shield‹ zu besitzen.«
»Na großartig.«
»Aber die rücken sie nicht heraus. Übliche RUC-Tour. Die Royal Ulster Constabulary ist eben nicht sehr mitteilsam. Sie steht auf dem Standpunkt: Wenn wir die Sachen sehen wollen, müssen wir uns zu ihnen hinbequemen. Diese Mistkerle machen sich wirklich ihre eigenen Gesetze.«
»Würde es sich nicht lohnen, damit ein paar Etagen höher zu gehen, Sir? Irgend jemand könnte denen einfach befehlen, die Informationen herauszurücken.«
»Ja, und die könnten unterwegs verloren gehen, oder sie nehmen vorher alles raus, was wir ihrer Meinung nach besser nicht zu Gesicht bekommen sollen. Nein, ich glaube, wir spielen diesmal besser mit.«
»Belfast?«
Kilpatrick nickte. »Ich möchte, dass Sie beide fliegen. Das wird nur ein Tagestrip.« Kilpatrick sah auf seine Uhr. »Es gibt einen Loganair-Flug um sieben Uhr vierzig, Sie sollten sich also besser auf den Weg machen.«
»Keine Zeit, meine Reiseführer einzupacken«, sagte Rebus. Zwei alte Ängste wühlten in seinen Eingeweiden.
Als sie über der Bucht von Belfast zur
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