Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld
der Merchant Bar nicht unbedingt gemerkt hätte: einem Lokal, in dem jeden Abend Schlag zehn die Pint-Gläser gegen – als Hieboder Stichwaffen weniger geeignete – dünnwandige Plastikbecher eingetauscht wurden. So ein Lokal war das.
Im Schankraum herrschte eine stickige Atmosphäre aus Bier, Rauch und Fernseherhitze. Man kam nicht her, um sich ein paar nette Stunden zu machen, nein, man kam, weil man musste. Die Stammgäste waren wie Drachen, die mit jedem Schluck ihr inneres Feuer kühlten. Als er eintrat, sah er kein einziges bekanntes Gesicht – nicht einmal hinter dem Tresen. Der Barkeeper war neu, ein Bursche gerade über zwanzig. Er schenkte mit einer gespielt verächtlichen Miene aus und strich die Münzen und Scheine ein, als nehme er Schmiergelder entgegen. Aus den atonalen Gesängen schloss Rebus, dass die Demonstranten sich im Obergeschoss aufhielten und vermutlich die Alkoholbestände der Kneipe dezimierten.
Rebus nahm sein Bier – noch in einem Glas – und ging nach oben zum Tanzsaal. Und tatsächlich waren da die Demonstranten unter sich. Sie hatten Jacketts, Schlipse und Hemmungen abgelegt und stampften im Raum auf und ab, grölten zu schräger Flötenbegleitung und gossen sich Bier und Schnäpse hinter die Binde. Die Getränke in den Raum zu schaffen war schon jetzt zu einem logistischen Albtraum geworden, und es strömten immer weitere Demonstranten herein.
Rebus atmete tief durch, zwang sich zu einem Lächeln und stürzte sich ins Getümmel.
»Echt stark, Jungs.«
»Klar, danke, Kumpel.«
»Alles klar, was?«
»Na, und ob, Mann.«
»Alles klar da drüben, Jungs?«
»Prima, ja. Echt stark.«
Gavin MacMurray konnte er nicht entdecken. Vielleicht war er mit seinem Generalstab woanders hin. Aber sein Sohn stand auf der Bühne und tat so, als halte er ein Mikro in der Hand und ein Publikum in seinem Bann. Ein anderer Junge kletterte zu ihm hinauf und spielte Luftgitarre, während er es gleichzeitig schaffte, sein Pintglas in der Hand zu behalten. Lager schlabberte ihm über die Jeans, aber er bekam nichts davon mit. Ein wahrer Profi.
Rebus schaute ihnen unerschütterlich lächelnd zu. Schließlich gaben sie auf, womit er die ganze Zeit gerechnet hatte, da sie kein Publikum fanden, und sprangen von der Bühne herunter. Rebus breitete die Arme aus.
»Wow, Mann! Das war echt stark.«
Jamesie grinste. »Danke, Mann.« Rebus klatschte ihm auf die Schulter.
»Noch’n Helles?«
»Hab wohl erst mal genug, danke.«
»Auch gut.« Rebus sah sich um, dann beugte er sich zu Jamesies Ohr. »Ich seh, du bist einer von uns.« Er zwinkerte.
»Hä?«
Die Tätowierung war unter der Lederjacke versteckt, aber Rebus nickte in die Richtung. »Der Shield«, sagte er leise. Dann nickte er noch einmal, wobei er Jamesie bedeutungsvoll in die Augen sah, und ließ ihn stehen. Er ging wieder nach unten und bestellte zwei Pints. Im Schankraum ging es hoch und laut her: Fernseher und Jukebox plärrten gegeneinander an, und ein paar hitzige Diskussionen setzten sich sogar gegen diese beiden Lärmquellen durch. Eine halbe Minute später stand Jamesie neben ihm. Der Junge war sichtlich nicht der Hellsten einer, und Rebus wägte ab, wie weit er bei ihm würde gehen können.
»Woher wissen Sie das?«, fragte Jamesie.
»Gibt nicht viel, was ich nicht weiß, mein Junge.«
»Aber ich kenn Sie doch gar nicht.«
Rebus lächelte in sein Bier hinein. »Wir wollen es auch besser so belassen.«
»Woher kennen Sie mich dann?«
Rebus drehte sich zu ihm. »Ich kenn dich eben.« Jamesie sah sich lippenleckend um. Rebus reichte ihm eines der Gläser. »Hier, kipp’s weg.«
»Danke.« Er senkte die Stimme. »Sie sind im Shield?«
»Wie kommst du darauf?« Jetzt lächelte Jamesie. »Ach übrigens, wie geht’s Davey?«
»Davey?«
»Davey Soutar«, sagte Rebus. »Ihr beiden kennt euch doch, oder?«
»Ich kenne Davey.« Er blinzelte. »Scheiße, Mann, Sie sind im Shield! Moment mal, hab ich Sie nicht auf dem Marsch gesehen?«
»Na, das will ich doch schwer hoffen.«
Jetzt nickte Jamesie langsam. »Wusste ich doch, dass ich Sie gesehen habe.«
»Du bist ein heller Junge, Jamesie. Du hast was von deinem Dad.«
Jamesie zuckte zusammen. »Er ist in fünf Minuten hier. Sie wollen doch bestimmt nicht, dass er uns zusammen –«
»Du hast Recht. Er weiß also nichts vom Shield?«
»Natürlich nicht.« Jamesie schaute gekränkt.
»Denn manchmal erzählen die Jungs ihren Vätern davon.«
»Ich nicht.«
Rebus nickte.
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