Raphael
Gespräch mit Benedict Kincade. Mein merkwürdiges Gefühl bei der Sache ... es passt alles zusammen. Wie konnte ich bloß so naiv sein? „Kincade.“
„Ja.“ Raphael nickt. „Dein Verhalten nach unserem Besuch bei ihm machte mich misstrauisch. Und als du plötzlich den Abend allein in deinem Zimmer verbringen wolltest, wusste ich, dass etwas nicht stimmt. Also habe ich mich außerhalb meines Apartments umgesehen, und ungefähr zur selben Zeit, wo du dich über die Feuerleiter davongestohlen hast, Kincades Spion gefunden, den er auf dich angesetzt hatte.“
Ich sehe Raphael erstaunt an. „Was hat er?“
„Dich seit seiner netten Party überwachen lassen. Ich habe mir seinen Lakaien geschnappt, ihn ausgequetscht und danach beiseite geschafft. Er sollte dich beobachten und Kincade Bescheid geben, wenn du das Haus verlässt, was er getan hat, kurz bevor ich ihn erwischte. Wohin du wolltest, wusste er allerdings nicht, also habe ich Setjan angerufen, der daraufhin seine Leute in Kincades Haus anrief. Einer erinnerte sich an ein paar Wortfetzen, die er auf der Party gehört, aber nicht für sonderlich wichtig erachtet hatte. Kincade hat zu dir etwas von Abschied gesagt, und in dem Augenblick war mir klar, wo du bist, denn außer deinem Vater gab es niemanden mehr.“
„Warum?“ Ich begreife es nicht. „Ich habe dem Kerl nicht das Geringste getan.“
„Du existierst, Caine.“ Raphael sieht mich so ernst an, dass mir jegliche Nachfrage im Hals steckenbleibt. Ich muss auch nicht fragen, mein fassungsloser Blick reicht ihm aus, um von selbst weiter zu erzählen. „Ist das nicht offensichtlich? Setjan hat ihn damals bei der Obrigkeit angeschissen und dann seinen Lover getötet. Ich bin jetzt Setjans einziger Zögling, aber zu alt, als dass Kincade sich an mir vergreifen könnte. Also hat er sich für dich entschieden. Wenn du getötet wirst, leide ich, und wenn ich leide, tut es Setjan weh. Und das ist es, was Kincade will. Rache. Schlicht und ergreifend.“
„Moment mal“, unterbreche ich ihn verärgert. „Dieses perverse Schwein hetzt mir einen Vampir auf den Hals, aus verletztem Stolz heraus? Nur weil er seinen Schwanz nicht in der Hose lassen konnte und sich an Setjans Kind vergriffen hat, musste mein Vater sterben?“
„Ja.“
Ich sehe rot. „Dafür bringe ich ihn um.“
„Das wirst du nicht“, wehrt Raphael drohend ab. „Wir haben keine Handhabe gegen Kincade. Der Spion ist tot und ein paar Wortfetzen, die ein Vampir auf einer Party gehört hat, sind nicht ausreichend, um ihm zu beweisen, dass er dich umbringen lassen wollte, um sich an Setjan zu rächen. Du wirst getötet, wenn du zu ihm gehst und versuchst, für den Tod deines Vaters Rache zu nehmen.“
Als wenn ich das nicht wüsste, aber meine Wut ist viel zu groß, um vernünftig denken zu können. „Solange er dabei mit draufgeht, ist mir das völlig egal!“
„Mir nicht!“, brüllt Raphael unbeherrscht zurück und packt mich an den Schultern, was mich vor Schmerzen stöhnen lässt. „Mir ist es nicht gleichgültig, Caine, ganz im Gegenteil. Ich werde niemals zulassen, dass du blind vor Wut in deinen endgültigen Tod rennst.“
Ich löse mich mit einer abrupten Drehbewegung aus seinem Griff und gehe keuchend in die Knie, weil mein Rücken heftig gegen die brutale Behandlung protestiert. Raphael greift mir helfend unter die Schultern, damit ich mich ins Gras setzen kann.
„Das ist meine Entscheidung“, erkläre ich dickköpfig und unverändert wütend.
„Ist es nicht“, zischt Raphael erbost. „Du bist meine Schöpfung. Ein Kind. Viel zu jung. Du hättest nicht die geringste Chance gegen ihn.“
„Na und wenn schon!“
Raphael knurrt tief aus der Kehle heraus, eine mehr als eindeutige Warnung. „Ich lasse dich nicht gehen.“
Ich sehe widerspenstig zu ihm hoch. „Du kannst mich nicht aufhalten.“
„Doch, das kann ich, und wir beide wissen es. Ebenso wie dir klar ist, dass ich es tun werde, weil ich dich liebe. Ob du damit leben kannst oder nicht, ist mir im Moment gleich, aber ich werde dich nicht an Kincade verlieren.“
Will oder kann er mich nicht verstehen? Ich schüttle den Kopf in einer Mischung aus Zorn und Verzweiflung. „Er darf nicht damit durchkommen.“
„Ich weiß, was du fühlst.“ Raphael seufzt. „Ich weiß es wirklich. Und er wird damit nicht durchkommen. Nicht dieses Mal. Setjan ist unserer Meinung, und es gibt viele andere Alte, die glauben, dass es an der Zeit ist, einen neuen Führer für
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