Raphael
New York City zu wählen. Wir finden einen Weg, um ihn unschädlich zu machen.“
Ich glaube Raphael. Das tue ich tatsächlich. Mir fehlt nur leider die Geduld, darauf zu warten, dass ihm, Setjan und den Alten, mit denen sie seit unserem Gespräch vor drei Wochen in Kontakt stehen, eine Lösung einfällt. Ich bin ein Baby für Raphaels Verhältnisse, und Kinder sind ungeduldig.
Ja, ich weiß, wie schwach diese Ausrede ist, aber ich werde keine weitere Nacht tatenlos herumsitzen. Gegen Kincade zu kämpfen, dazu bin ich körperlich nicht fähig, aber ich werde ihn trotzdem fertigmachen.
Mein Plan ist einfach und dadurch fast schon perfekt. Ich musste mir nur einen sicheren Weg aus Setjans Haus suchen und das hat verdammt lange gedauert. Aber ich habe einen gefunden und wäre Raphael so dumm wie die Vampire vor dem Haus, an denen ich mich vor ein paar Minuten vorbeigeschlichen habe, hätte ich vermutlich nicht mal meine erste Nacht als Untoter überlebt.
Ich werfe sicherheitshalber einen kurzen Blick zurück und mache mich davon, als nichts zu sehen und zu hören ist. Es war leicht an den Wächtern vorbeizukommen, die Setjan vor seinem Haus hat. Beinahe zu leicht, aber ich werde garantiert nicht anfangen darüber nachzudenken. Dafür habe ich zuviel Zeit investiert, um die Schichtpläne der Wachen auszuspionieren und dabei ein Zeitfenster zu finden, durch das ich flüchten kann, ohne bemerkt zu werden.
Es ist mir gelungen, und weil die von Setjan für heute anberaumte Versammlung, um gemeinsam mit Raphael und einer Gruppe anderer Vampire zu debattieren, was nun aus Kincade werden soll, mit Sicherheit eine Weile dauern wird, habe ich genügend Zeit, um zu Kincade zu gelangen. Ich werde diesen hinterhältigen Bastard nicht damit durchkommen lassen, was er getan hat.
Ganz gleich wie oft Raphael mir in den letzten Tagen angedroht hat, mich einen Kopf kürzer zu machen, sollte ich es wagen, allein zu Kincade zu gehen. Diese Drohung zieht nicht mehr. Nicht seit er mir auf einem Friedhof ein Grab zum Geschenk gemacht hat. So makaber das im ersten Augenblick auch klingen mag, er hätte mir nichts Schöneres schenken können. Und das weiß er. Genauso wie er sich denken kann, dass ich niemals von Kincade ablassen werde.
Selbst wenn ich bei dem Versuch sterbe, mich für den Tod meines Vaters an Benedict Kincade zu rächen, wird es das wert sein. Setjan, die Alten und Raphael brauchen einen guten Grund, um Kincade loszuwerden?
Kein Problem. Den werde ich ihnen liefern.
10
„Caine McAllister. Ich will zu Benedict Kincade.“ Der Butler glotzt mich an, als wäre ich ein Geist. „Sofort!“
Das funktioniert. Ohne ein Wort zu sagen, bittet er mich mit der Hand einzutreten und verschwindet dann lautlos durch eine weitere Tür.
Ich stehe erst mal da wie bestellt und nicht abgeholt, was in Anbetracht meiner Laune aber ganz praktisch ist, denn so habe ich Zeit, mich ein wenig zu beruhigen. Man sollte nie mit Wut im Bauch zu einem Treffen gehen, das bringt nur Ärger. Ein Ratschlag, der mir heute allerdings nicht viel geholfen hat, denn auf dem Weg hierher habe ich mich so in meine Wut auf Kincade hineingesteigert, dass ich zweimal in einer Seitengasse stoppen musste, weil ich sonst die unschuldigen Menschen auf der Straße angegriffen hätte.
Es war zum Teil richtig amüsant dabei zuzusehen, wie mir auf den Gehwegen oder an Ampeln, die Sterblichen so weit wie möglich ausgewichen sind, weil sie Angst vor mir hatten. Keine Ahnung, ob ich zu finster aussah, aber sie fürchteten sich eindeutig vor mir. Sogar ein anderer Vampir, dem ich auf einer Kreuzung über den Weg lief, hat nach einem kurzen Blick in mein Gesicht mitten auf der Straße kehrtgemacht, um mit schnellen Schritten in die nächste Seitenstraße abzubiegen.
Ich war dermaßen verdutzt, dass ich überhaupt nicht verstanden habe, was passiert war. Das ging mir erst ein paar Minuten später auf. Dieser Blutsauger hatte ebenso Angst vor mir, wie die anderen Menschen.
Und das hat sich verdammt gut angefühlt, was ich im Nachhinein erschreckend finde. Ich will nicht so werden wie Raphael, und bin doch gleichzeitig auf dem besten Weg dahin.
Ein Räuspern holt mich aus meinen Überlegungen. Der Butler ist zurück und deutet schweigsam hinter sich. Ich folge ihm und er bringt mich nicht zu Kincades Büro, wo ich mit Raphael war, sondern geht in den hinteren Teil des Hauses. Dort liegt der Saal, in welchem die Party stattfand, fällt mir ein.
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