Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)
griff ich erneut zum Cola-Whisky, – diesmal dem von Claudia –, der mir aber sofort von Ortrud entrissen wurde. »Bist du denn irre?«, schimpfte sie quer über den Tisch.
Stimmt! Das Baby! – mahnte ich mich selbst und senkte beschämt meinen Kopf. Was für eine Mutter war ich überhaupt? O Gott, ich werde Mutter! Nach und nach dämmerte mir, was das bedeuten würde. Babywindeln, Augenringe und schlaflose Nächte. Mir war zum Heulen und irgendwie auch zum Kotzen zumute. Jetzt, wo ich wusste, dass ich schwanger war, spürte ich die Folgen der Schwangerschaft doppelt. Ich sprang auf und rannte geradewegs in die Arme von Ronny, den Sohn des Hausmeisters unseres Hauses in Berlin.
Hä? Was macht der denn hier? Ich wunderte mich, während ich weiter zur Toilette rannte. Als ich zum Tisch zurückkehrte, dämmerte es mir. Richard saß auf Ronnys Schoß und strahlte heller als der Hauptspot an der Theaterbühne.
»Darf ich vorstellen, mein Verlobter«, wisperte er verliebt.
Ronny nickte mir zu, während seine Hände unter Richards Sakko glitten. Meine Güte , schoss es durch meinenKopf. Ronny und Richard! Wer hätte das gedacht? Natürlich freute ich mich für meinen allerallerbesten Freund, obwohl ein wenig Eifersucht in mir aufkeimte. Aber immerhin würde er weiterleben, und ich könnte ihn, wann immer ich nur wollte, besuchen. Später in der Nacht erklärte mir Richard, dass ich bestimmt Zwillinge bekommen würde, weil das echte Rapunzel auch Zwillinge hatte. Hendrik und ich sollten das aber noch mal von einem Wahrsager abchecken lassen. Ich nickte, obwohl ich das überhaupt nicht wissen wollte. Und überhaupt, gab es dafür nicht Ultraschall? Ich ließ die Hand über meinen Bauch gleiten. Sollten da wirklich gleich zwei Kinder heranwachsen? Zweimal Windeln wechseln? Zweimal so viel Babygeschrei? Und doppelte Ausbildungskosten? Hilfe! Ich heulte wie ein kleines Kind. Zum einen wegen der Freude, zum anderen, weil ich Angst hatte zu versagen. Aber meine große Familie – die gerade um einen Ronny angewachsen war – schloss mich in ihre vielen Arme, und plötzlich spürte ich, dass alles gut werden würde. Rapunzel auf Rügen wird eine verdammt gute Mama werden! Mindestens ebenso gut wie die echte. Ach, und da war ja auch noch die Perücke, für die Ortrud, Claudia, Sarah und Pferdefranz zusammengelegt hatten und die sie mir hübsch verpackt, inklusive einer ersten Babyausstattung, am Tag nach meinem Geburtstag überreichten. Ich freute mich wahnsinnig darüber. Allerdings verlangten sie Freikarten fürs Theater, für jeden Abend, an dem ich auf der Bühne stehen würde. Die Abende, an denen Hendrik die Babys hüten muss , jubilierte meine innere Stimme. Jawohl! Recht hatte sie! Immerhin hatte er auch ein kleines bisschen dazu beigetragen. Auch wenn ich mich immer noch weigerte, an zwei Babys zu glauben, und inständig auf nur einen Schreihals hoffte.
Leseprobe
Emma Bieling
Cinderella auf Sylt
Broschur
237 Seiten
ISBN 978-3-7466-2799-1
Sylt, ich komme!
»Sehr geehrte Zug-Gäste, in wenigen Minuten erreichen wir den Bahnhof von Westerland.« Cinderella blickte aus dem Fenster des Zugabteils, aber sie konnte einfach nichts erkennen. Weder das Meer noch die endlos langen Sandstrände. Draußen war es finster, und auch der Mond schien sich an diesem Sommertag frei genommen zu haben. Nur ab und zu huschten ein paar Lichter vorbei, die kurz darauf im Dunkel der Nacht wieder verschwanden.
Tommy schlief seelenruhig und fest. Sein Kopf lag auf ihren Schoß gebettet, und in seinen Armen hielt er Lumpi, seinen Plüschhasen. Behutsam zog Cinderella das lieb gewonnene Stofftier aus dem Klammergriff ihres Sohnes. Lumpi sollte beim Aussteigen keinesfalls verloren gehen. Nicht jetzt, nachdem sie ihn unter Einsatz ihrer ganzen Kräfte aus dem Abfluss ihres Toilettenbeckens geborgen hatte. Cinderella musste bei diesem Gedanken schmunzeln. Tommy hatte doch tatsächlich versucht, das hilflose Häschen hinunterzuspülen. Und das nur, weil ihre Stiefschwester ihm erzählt hatte, dass Jungen, die mit Kuscheltieren spielen, ewig klein bleiben und später als Gartenzwerge arbeiten müssen. Dabei war das noch eine von Sandras harmlosesten Gemeinheiten.
Cinderella betrachtete Lumpi genauer. Sie hatte ihn kurz vor Reiseantritt einer Intensiv-Wäsche unterzogen, um etwaige Reste seines unfreiwilligen Tauchganges zu beseitigen. Jetzt strahlte er wieder im Taubenblau und roch frisch wie der Frühling. Nur seine Ohren schienen
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