Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)
du denn? Die Knödelmeyer hat längst angefangen.«
Ich eilte ihr entgegen. »Verdammt! Ist Richard noch oben?«
Sarah schob mich in Richtung Szenen-Aula. »Keine Zeit mehr, geh ohne Maske, und präsentier der Knödelmeyer ein Rapunzel, wie es die Welt noch nicht gesehen hat.«
Ich schluckte. Ohne Make-up und Hairstyling? Das konnte nur schiefgehen . Niedergedrückt öffnete ich mein Haarband, während Sarah mir half, aus der Endlos-Mähne einen Zopf zu flechten.
»Was um alles in der Welt macht ihr da?«, kreischte es durch den Flur.
Erleichtert drehte ich mich zur Treppe. »Richard! Gott sei Dank.« Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Leichtfüßig huschte er die Stufen hinunter. »Geh weg!«, fauchte er Sarah an. »Du ruinierst und zerzaust sie ja völlig.«
Er griff in mein herabhängendes Haar. »Nun sieh dir das an! Verfilzt, spröde, glanzlos.«
»Richard mach was!«, bettelte ich. Die Zeit wurde knapper, und meine Geduld schlug langsam in Panik um. Schließlich würde es eine meiner wichtigsten Schauspielszenen sein und der Grundstein für meine Zukunft. Mit der Laune einer verschmähten Prinzessin wühlte sich Richard kopfschüttelnd durch mein langes Haar.
»Tu doch was!«, schrie ich hysterisch. Kleine Schweißperlen kämpften sich allmählich durch jede Pore meines Körpers, und die Anspannung raubte mir den Atem.
»Ich versuche es doch! Halt still.« Gekonnt und mit der Fingerfertigkeit eines gelernten Visagisten, verwandelte er mich allmählich zum perfekten Rapunzel. Ich war begeistert. Und auch Sarah nickte aus sicherer Entfernung.»Danke, Rich. Du bist der Beste.« Ich drückte Richard einen Kuss auf die Wange und rannte in die Aula – einem pompösen Abschlussauftritt entgegen.
Eine Woche darauf …
Ich hatte alles vorbereitet – den Tisch hübsch gedeckt, Essen gekocht und einen passenden Wein ausgewählt – alles, um meinen Freunden die Nachricht vom Wegzug zu überbringen. Ich musste eben den passenden Moment abwarten, den Augenblick der Ein-Promille-Phase. Bei Richard hingegen war das eher riskant. Er neigte unter Alkohol zu depressiven Heulanfällen, die sich dann meist über Stunden ausdehnten. Egal! Ich war bereit und starrte auf die Küchentür, hinter der ich die Stimmen von Elke und Sarah vernahm. Dann klopfte es. »Rapunzel? Dürfen wir?«
»Ja, kommt rein.«
Voller Stolz präsentierte ich meine Tischdekoration, die dezent in Stahlblau gehalten war und unter dem Motto »Abschied ist ein scharfes Schwert« stand. Im Hintergrund dudelte Roger Whittaker – eine CD, die ich im Keller gefunden hatte.
»Servietten mit Schwertern drauf?«, kicherte Elke los. »Will heißen, ich habe keine Ahnung, was du uns heute sagen willst.«
»Ich auch nicht«, pflichtete ihr Sarah bei.
Richard, der plötzlich ebenfalls in der Küche stand, schlug die Hände erschrocken vors Gesicht. »O Gott, du stirbst!«
»Nein! Tu ich nicht!«
»Gut. Dann nehme ich ein Feierabendschlückchen vor dem Essen.« Er setzte sich und hielt sein Weinglas in die Höhe. Und während ich eingoss, beäugte er das Etikettder Flasche. »Ach, wie schön, ein Pfälzer Riesling. Und ebenso trocken wie mein Liebesleben.«
Elke und Sarah verdrehten die Augen und nahmen Platz.
»Was gibt’s? Nun sag schon«, begann Elke zu drängeln.
»Nach dem Dessert«, erwiderte ich und füllte auch ihre Weingläser.
Nachdem ich alle drei Gänge serviert und die vierte Flasche Wein ihre Wirkung gezeigt hatte, klopfte ich mit dem Löffel gegen mein Glas und erhob mich. »Also … Was ich euch sagen wollte … Na ja, wie soll ich anfangen? Ich habe eine Anstellung im Service bekommen und breche morgen nach Rügen auf.« Erleichtert sank ich zurück auf meinen Stuhl.
»Was? Für wie lange?« Elke sah mich fassungslos mit aufgesperrtem Mund an.
Richard verschluckte sich am Riesling und rang nach Luft. Krebsrot im Gesicht fuchtelte er mit seinen Händen herum, auf der Suche nach Worten. Und auch in Sarahs Gesicht war deutlich Kritik an meinem Vorhaben erkennbar. »Du spinnst doch!«
Dann herrschte Stille, für gefühlte zehn Minuten.
»Noch ein Gläschen?«, fragte ich in die Runde, in der Hoffnung, die Stimmung wieder etwas aufzulockern. Aber niemand reagierte auf mein Angebot.
»Was, zum Teufel, willst du auf Rügen?«, fragte Sarah.
»Und was wird aus der Premiere im nächsten Jahr? Keiner spielt Rapunzel so wie du«, argumentierte Elke.
Richard, der mittlerweile seine Stimme wiedergefunden hatte, hüstelte.
»Du verlässt
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